»Volksvertreter« bei der Heim-WM

  • Thomas Wieczorek
  • Lesedauer: ca. 1.5 Min.
»Großkonzern verschenkt Tickets für die Fußball-WM an Politiker, die seine Interessen würdig vertreten.« So oder ähnlich könnte ein Inserat in der Eintrittskarten-Affärea lauten. »Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft«, sagt der Volksmund dazu. Seit der Korruptionsskandalwelle um Leuna und Panzer heißt so etwas »Landschaftspflege«. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, die noch immer gegen den Stromriesen EnBW und sieben Politiker ermittelt, nennt dies humorlos »Vorteilsgewährung« und »Vorteilsannahme im Amt«. Wegen dieses Wirbels traut sich allerdings kaum noch ein Politiker zur Kartenannahme. »Unsere Einladungen werden nicht so angenommen, wie wir erwartet haben«, klagt sogar DFB-Präsident und OK-Vize Theo Zwanziger. Schließlich sei bei Amtsträgern »die Grenzziehung wegen eines möglichen geldwerten Vorteils nicht einfach«. Aber die Fußballfans haben gar keinen Grund, neidisch zu sein. Unsere Politiker heißen ja deshalb VolksVERTRETER, weil sie uns vertreten. Zum Intimtreff von Kanzlerin Merkel mit Präsident Bush durfte ja auch nicht jeder mit, und auch bei den zahlreichen exotischen Traumexkursionen, im Protokoll »Dienstreise« oder »Ausschusssitzung« genannt, werden wir zwischen Tahiti und Kenia von unseren Politikern VERTRETEN. Im Gegensatz zum Normalbürger erfährt der Volksvertreter das Gefühl »Ich bin Deutschland"« schon beim Blick aufs eigene Bankkonto. Er ist der lebende Beweis dafür, dass es jeder Gutwillige auch zu etwas bringen kann. Stellvertretend für Millionen Bürger hat er einen Arbeitsplatz und eine optimale soziale Absicherung bis zum Lebensende. Warum also sollten die Politiker ausgerechnet bei der Heim-WM nicht stellvertretend für uns die Freuden des (Fußball-)Lebens genießen? Und so wird manch ein Fan vor der Glotze beim Kameraschwenk auf die VIP-Tribüne voller Stolz seufzen: »Der sonnengebräunte Typ da zwischen dem Wirtschaftsboss und dem Model - das ist mei...

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