Empfehlungen unter Vorbehalt
Heute legen Experten Vorschläge für die Neuordnung der Institutionen zur DDR-Aufarbeitung vor / Die Debatte wird mit den Expertenvorschlägen nicht beendet - im Gegenteil
Schon vor der für heute geplanten Vorstellung der Empfehlungen einer Kommission zur Neuausrichtung der für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte zuständigen Institutionen ist ein heftiger Streit entbrannt. Der Schärfe der Debatte entspricht die Zahl der Konfliktlinien, die das geschichtspolitische Feld durchziehen. Für die Pläne der Expertengruppe verheißt sie jedoch nichts Gutes.
Historische Wahrheit ist ein rares Gut. Vielleicht wird sie deshalb so oft beansprucht. Weil aber jenseits der Fakten viel Raum für Interpretationen und Deutungen ist, bleibt von der Geschichte vor allem eins: der Streit über sie.Kaum ein Thema wurde in den letzten sechzehneinhalb Jahren so kontrovers diskutiert wie das historische Erbe der DDR. Das geschichtspolitische Feld wird dabei von vielen Konfliktlinien durchzogen: Ex-Funktionäre streiten mit Ex-Oppositionellen, Zeitzeugen (Ost) finden sich in den Darstellungen der Zeithistoriker (West) nicht wieder, Experten sind untereinander uneins und Gedenkinstitutionen kämpfen in Zeiten knapper werdender Mittel um ihre Zukunft.
In dieser Gemengelage muss ein Vorschlag, der staatlich geförderten Aufarbeitung der DDR-Geschichte neue Konturen zu verleihen, wie Öl ins Feuer wirken. Schon seit Wochen sickerte Detail um Detail der Empfehlungen einer Expertenkommission durch - und wurde umgehend hart umkämpft.
Besonders hat sich dabei einmal mehr der Chef der Gedenkstätte im ehemaligen Stasiknast Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hervorgetan. Eifrig protegiert von den Springer-Blättern »Welt« und »Berliner Morgenpost«, ließ der umstrittene Historiker kein gutes Haar an den Expertenplänen. Die Ideen liefen auf eine »staatlich geförderte Ostalgie« hinaus, ja auf ein »Aufarbeitungskombinat«, mit dem »die SED-Diktatur weniger grau« gezeichnet werden solle.
Knabes herausgehobene Rolle (von den Experten hat sich keiner in den letzten Wochen häufiger geäußert als er) beruht auf einem Missverständnis, das die Mediengesellschaft produziert: Nur weil jemand besonders laut auftritt, ist er noch lange nicht wichtig. Jedoch haben auch Knabes erbittertste Kritiker, die den Gedenkstättenleiter gern mal »Volksverhetzer vom Dienst« nennen und selbst wenig Differenzierung beim Rückblick in die Geschichte an den Tag legen, zu dessen Prominenz beigetragen.
Die Dimension dessen, was die Kommission vorschlägt, geht über die zuletzt häufig diskutierten Fragen, was aus der Gedenkstätte Hohenschönhausen wird und welche Zukunft die Stasiunterlagen-Behörde von Marianne Birthler hat, jedoch weit hinaus. Es ist sogar der ausdrückliche Wunsch der Mehrheit der Experten, das, was von Aufarbeitung in Gedenkstätten und Ausstellungen sichtbar wird, wieder breiter aufzufächern.
Denn was die historische Forschung zum Thema DDR produziert hat, findet in der Öffentlichkeit nicht immer den gleichen Anklang. Nicht umsonst beklagt die Kommission eine »Vorrangstellung der öffentlichen Dokumentation staatlicher Repression« und plädiert für eine »Perspektivendifferenzierung«, damit auch andere Aspekte des Alltags in der DDR wieder stärker in den Blick geraten.
Gerade zum nicht gerade widerspruchsfreien Verhältnis zwischen dem Machtanspruch der SED und der Herrschaftswirklichkeit in der DDR, hat die Forschung in den letzten Jahren interessante Ergebnisse hervorgebracht. Ob diese im neuen Geschichtsverbund mehr Geltung erhalten und vor allem mit welcher Gewichtung, bleibt freilich abzuwarten.
Ohnehin geht die Debatte wohl jetzt erst richtig los: Erstens gibt es keinen Anlass dafür anzunehmen, dass sich der Streit um Geschichtsbilder und Deutungsfragen mit den Vorschlägen der Kommission erledigt haben könnte. Zweitens handelt es sich bei den etwas mehr als 20 Seiten, die die Expertengruppe nach gut einem Jahr vorlegt, lediglich um Empfehlungen. Die Umsetzung der Ideen müsste noch durch das schmale Nadelöhr der Politik - und dort herrscht keineswegs Einigkeit über die Vorschläge. Während etwa der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) die Empfehlungen der Kommission begrüßte, billigte der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, Arnold Vaatz, den Ideen keinerlei Umsetzungschancen zu, da damit die »nostalgische Verklärung der DDR gestärkt« würde. Drittens dürften viele Vorschläge noch unter dem Vorbehalt ihrer Finanzierungsmöglichkeiten stehen. Abgesehen davon, dass in dem nun wohl erst richtig beginnenden Kampf um Posten und Standorte noch viele jähe Wendungen möglich sind.
Die Pläne der Experten
Die zehnköpfige Kommission wurde im Mai 2005 von der damaligen Kulturstaatsministerin Christina Weiss berufen. Die Leitung hatte der Historiker Martin Sabrow, im Gremium arbeiteten unter anderem die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Tina Krone, Ulrike Poppe, Roland Jahn und Freya Klier. Letztere hat in einem Minderheitenvotum einen offensiveren Umgang mit der SED-Herrschaft gefordert.
Für die künftige Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte schlägt die Kommission ein Drei-Säulen-Modell vor:
Ein neues »Forum Aufarbeitung« in Berlins soll, mitgetragen von der Stiftung Aufarbeitung und in Kooperation mit dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, für die Themen »Herrschaft - Gesellschaft - Widerstand« zuständig sein. Das Forum soll räumlich mit der Havemann-Gesellschaft und mit Bildungsträgern zusammengeführt werden. Mögliche Standorte: die ehemalige ADN-Zentrale, der ehemaligen Sitz der SED-Zentrale und eine ehemalige Brauerei
Die Birthler-Behörde soll zu einem Dokumentations- und Forschungszentrum für »Überwachung und Verfolgung« werden. Ein Schwerpunkt bleibt zunächst die Erschließung der Akten, die »auf lange Sicht ungeteilt in die Obhut des Bundesarchivs übergehen« sollen. Die Behörde soll mit den Gedenkstätten im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit in der Normannenstraße und dem früheren Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen organisatorisch zusammengeführt werden.
Ein dritter Schwerpunkt sind die Themen »Teilung und Grenze«. Die Gedenkstätte Berliner Mauer soll zu einer Ausstellungs- und Forschungseinrichtung entwickelt werden, die für Museen und Gedenkstätten entlang der innerdeutschen Grenze...
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