Die rote Jungfrau vom Montmartre
Vor 135 Jahren: Die Pariser Kommune und die Lehrerin Louise Michel
Mit mutiger Rede Kanonen erobert
Neuere Forschungen und Funde französischer Geschichtswissenschaftler belegen en detail die hin und wieder bestrittene massenhafte Beteiligung von Frauen an der Pariser Kommune sowie ihr tragisches Schicksal. Nicht selten ließ man sie ebenso standrechtlich aburteilen und erschießen wie ihre männlichen Mitstreiter. Oder sie wurden, wie die berühmt gewordene Louise Michel, in eine Strafkolonie nach Neu-Kaledonien deportiert.
Sie wurde die »Rote Jungfrau vom Montmartre« genannt. Die damals 40-jährige Lehrerin war aktive Teilnehmerin an den politischen wie militärischen Auseinandersetzungen. Mit mutigen, mitreißenden Reden entriss Louise Michel mit ihren Mitstreiterinnen vom Aufpasserausschuss des 18. Stadtbezirks in letzter Minute am 18. März 1871 den aus Versailles angerückten französischen Soldaten die Kanonen vom Montmartre - ohne dass ein Schuss fiel. Zwar saß damals der französische Kaiser Napoléon III. bereits gefangen in Frankfurt (Main), und am 31. Januar 1871 war die Kaiserproklamation des Preußenkönigs Wilhelm I. im Versailler Schloss erfolgt - doch der Krieg ging weiter. Trotz Hungersnot ergab sich das eingeschlossene Paris nicht.
Schon am 31. Oktober 1870 hatten Nationalgardisten »Es lebe die Kommune!« ausgerufen, nachdem Ausbruchsversuche der neu formierten republikanischen Soldaten immer wieder mit Niederlagen endeten. Am 7. Januar 1871 forderte ein vielerorts angeklebtes rotes Plakat, verfasst vom radikalen Journalisten Louis Vallès, im Namen des Komitees der 20 Pariser Stadtbezirke zum Aufstand und zur Bildung einer Volksregierung auf. Doch erst nach den Verbrüderungsszenen auf dem Montmartre kam es dazu. Noch am Abend des 18. März wurden die befehlshabenden Generäle Lecomte und Clément Thomas, die den Soldaten Schießbefehl erteilt hatten, von den »Communards« erschossen. Mit den in Paris verbliebenen 40 000 Mann Nationalgarde wollten die empörten Volksmassen dem »defätistischen Versailles« und den deutschen Truppen eine Lektion erteilen.
Doch zurück zu Louise Michel. Sie wirkte im »Club der Revolution« mit, an der Seite ihres 24-jährigen Freundes Théophil Ferré. Beide wurden führende Mitglieder der sich nach den Wahlen vom 24. März rasch konstituierenden Kommune. Michel stand der Abteilung »Justiz und Frieden« vor. Die »Communards« waren allesamt überzeugte Anti-Bonapartisten und Blanquisten, wie der Journalist Vallès, der Maler Gustave Courbet, der Neo-Jakobiner Delecluze oder der Wissenschaftler Gustave Flourens. Louise Michel, uneheliches Kind eines Adligen und eines Dienstmädchens, die als Lehrerin keinen Amtseid auf Kaiser Napoléon III. hatte leisten wollen, passte in diese bunt gemischte Gesellschaft. Von den Großeltern väterlicherseits in vornehm-aristokratischer Geisteshaltung erzogen, hatte sie dennoch ein Gespür für die Nöte der Unterdrückten. Zum Proletariat zählte sie ihre Mutter (der sie übrigens ihre 1886 erschienenen Memoiren widmete) und alle Frauen, »denn die Sklaven der Sklaven sind deren Frauen«. Sicher ist es auch Louise Michel zu verdanken, dass nach den Wahlen des 24. März in Paris alle Bordelle geschlossen wurden. Frauen bildeten nun Kampfbataillone, und Louise Michel befehligte das 61.
Dank der neuen Regierung erhielten Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Am 18. Mai wurde eine Bundeskammer für Arbeiterinnen als neue Frauenvertretung geschaffen. Und das Unterrichtswesen wurde neu geordnet, laizistisch, kostenlos und frei. Louise Michel wünschte sich eine Erziehung, die die Kinder moralisch stärke und festige.
Nach dem Friedensschluss am 10. Mai in Frankfurt (Main) mit dem neuen kaiserlichen Deutschland hatte der Versailler Präsident Thiers die Hände, sprich: die Soldaten frei, um gegen das aufrührerische Paris und die sich selbst regierenden Kommunarden vorzugehen. Es folgte massiver, mörderischer Beschuss einzelner Stadtteile, wichtige Befestigungen fielen in Trümmer. Der Widerstand der Kommunarden blieb intakt. Doch dann kam es zur so genannten Blutigen Woche, »Semaine Sanglante«, die vom 21. bis zum 28. Mai tobte. Die republikanischen Soldaten aus Versailles drangen in das Stadtinnere ein, mussten aber Haus für Haus, Straße für Straße und Barrikade für Barrikade erobern. Nicht nur im Kampf Mann gegen Mann, sondern auch gegen Frauen, oft in Männerkleidung oder in Uniformen. Die Verluste unter den »Communards« waren erschreckend: Vorsichtige Schätzungen sprechen von über 30 000 Toten. Die nach diesem barbarischen »Sturm auf Paris« noch lebenden Kämpfer wurden kurzerhand an der »Mur des Fédérés« zu Hunderten exekutiert. Dieses Blutbad der »Versailler« erschütterte und inspirierte zahlreiche in- und ausländische Schriftsteller, Dichter und Maler. Karl Marx verfasste in London seine berühmte Schrift »Bürgerkrieg in Frankreich«. Und Victor Hugo widmete der »roten Jungfrau« ein erhebendes Erinnerungsgedicht, die »Viro Major«.
Die Kanaken die Revolution gelehrt
Louise Michel verteidigte sich selbst vor dem Kriegsgericht in Versailles. Sie wurde zu lebenslänglichem Straflager verurteilt. Auf der Südsee-Insel Neu-Kaledonien lehrte sie die Einheimischen, die sich selbst Kanaken nennen, Lesen und Schreiben und später auch in Sachen Revolution. 1880 kam sie wie andere Verurteilte der Pariser Kommune infolge einer Amnestie frei. Zurückgekehrt nach Frankreich agitierte sie erneut politisch, wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und emigrierte schließlich nach England, wo sie an einer libertären Schule unterrichtete.
In der Strafkolonie hatte Louise Michel ihre Gedanken zur Pariser Kommune, zu Politik, Literatur und Philosophie niedergeschrieben. Sie beschwor die Nachkommenden, die »Commune« nicht zu vergessen und an dieses Band der Menschheitsgeschichte anzuknüpfen. Sie gab schließlich auch ihrem Glauben an den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt Ausdruck, dank dessen eines Tages so viel produziert werden könne, dass alle im Überfluss leben könnten und keiner mehr Not leiden müsste.
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