Allein gegen die Welt, eins mit dem Universum

Jens Voigt vor den letzten Giro-Etappen über die Lust am Radsport, seine Ambitionen und seinen Chef Ivan Basso

Der 34-jährige Jens Voigt hat sich mit seinen beherzten Attacken in die Herzen aller Radsportfans gefahren. In diesem Jahr ist für ihn manches anders. Das Frühjahr ging wegen einer Sturzverletzung bei einem Benefiz-Rennen durch Mecklenburg in die Hose. Beim Saisonhöhepunkt Tour de France wird er alle Kräfte ausschließlich in den Dienst seines Kapitäns Ivan Basso stellen. Der Giro dItalia, den Voigt zum ersten Mal bestreitet, ist dafür die Generalprobe. Eine Generalprobe, die wie eine Premiere ist, denn CSC will mit Basso auch dieses Rennen gewinnen.

ND: Mit 34 Jahren die erste Italienrundfahrt - wie gefällts Ihnen?
Voigt: Bisher sehr gut. Es ist schon ein anderes Fahren als bei der Tour de France. Es ist einfacher: Es gibt weniger Stress und weniger Stürze. Es passieren hier aber auch verrückte Dinge. Wie diese super-steile Ankunft auf dem Kronplatz am Mittwoch. In den Augen der Rennfahrer ist es mehr als überflüssig, dass extra eine Straße in die Landschaft geklatscht wird, die wir dann hochkommen sollen.

Sie konnten nach einem Sturz lange nicht trainieren. Wie gingen Sie damit um?
Ich war sauer. Ich bin ja der traditionelle Frühstarter. Aber dieses Jahr, im hinteren Teil des Pelotons, habe ich ganz neue Fahrer kennen gelernt, Fahrer, die ich vorher nie gesehen habe. Ich habe die gefragt: »Du bist auch Profi? Wie lange bist du denn schon dabei?« Ich habe viele neue Freunde gefunden dadurch.

Sind Sie jetzt vorsichtiger, weil es mit der Unverwundbarkeit ein Ende hatte?
Seit ein, zwei Jahren fahre ich schon vorsichtiger. Als du jung warst, bist du nach einem Sturz aufgesprungen, hast dir kurz den Staub von den Schultern gewischt, gelacht und bist weitergefahren. Heute liegst du am Boden und denkst: Mann, tut das weh. Tja, das ist das Alter.

Sie waren für einige Tage in Reichweite des Rosa Trikots. Hat Sie da mehr Ihr Abstand nach vorn interessiert oder der zwischen Basso und dessen Rivalen?
Ivans Abstand. Als Teamchef Bjarne Riis mich gefragt hat, ob ich den Giro fahren will, war mir mit aller Konsequenz klar: Das ist nicht »Jens Voigt geht das Trikot holen« oder »Jens Voigt geht attackieren«. Das hier ist die Ivan-Basso-Show.

Erfordert dieses Zurückstecken Selbstdisziplin?
Jetzt nicht mehr. Ich bin mit mir selbst im Reinen. Ich habe einige Rennen gewonnen, 40 oder 41, große, kleine, mittlere. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Aber was ich noch nie geschafft habe, ist eine große Rundfahrt mit meinem Kapitän zu gewinnen. Ich betrachte den Giro als eine Art Generalprobe für die Tour, wo wir auch noch einmal ganz vorn mitfahren wollen. Es ist wie im Fußball: Auch der Verteidiger, der kein Tor geschossen hat, ist Champions-League-Sieger. Man ist auch Tour de France-Sieger, wenn man in der siegreichen Mannschaft dabei war.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie einen Ausreißversuch starten?
Manchmal denkt man: Geschafft, jetzt bilden wir eine Gruppe! Machmal aber auch: Warum bin ich jetzt schon wieder dabei? Oft muss man einfach folgen. Wir können keine Gruppe wegfahren lassen, ohne dass einer von uns dabei ist. Da gehst du fünf Mal mit, und dann blickst du dich um, und denkst: Das kann nicht wahr sein, ich bin schon wieder hier vorne!

Was ist schwieriger, wegzukommen oder vorn zu bleiben?
Um wegzukommen musst du eine Menge Kraft investieren. 65 Prozent Leistungsvermögen reichen nicht. Du musst alles geben, und wenn du weg bist, musst du umschalten auf Marschtempo, wo du mit 60-80 Prozent fährst. Wenn du merkst, die im Feld geben Gas, musst du auch Gas geben. Du hast deine fünf Minuten Vorsprung, und wenn es auf die 30-km-Marke zugeht oder die hinten Gas geben, dann musst du versuchen, dagegen zu halten.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie es geschafft haben?
Das ist das Beste. Sprintetappen gewinnen nur die Sprinter - der eine oder der andere aus einem kleinen Kreis. Aber wenn du allein fährst, kämpfst du gegen alle. Jeder ist da dein Gegner, und deine Chancen sind minimal. Wenn du trotzdem durchkommst, bist du umso besser. 100, 200 m vor dem Ziel ist dann Zeit, das zu genießen. Du kannst freihändig fahren, das Trikot ein wenig zurechtzupfen und du spürst: Das ist mein Augenblick. Ich habe es geschafft, ich habe alle anderen ausgetrickst, ich habe sie geschlagen. Ein köstlicher Augenblick, in dem dein Körper Glückshormone ausschüttet. Die ganze Magie ist sofort zerstört, wenn du über die Ziellinie kommst. Dann stürzen alle auf dich ein, zerren an dir rum. Aber wenn du alleine ankommst, dieses heranbrandende Geräusch der Zuschauer ... Da fährst du wie durch einen kleinen Tunnel. Für diese Momente fahre ich Rad.

Wie fühlt sich dagegen ein Rundfahrtsieg mit Basso an?
Anders, aber auch sehr schön. Das ist dieses Wir-Gefühl. Wir alle haben gelitten, sind gestürzt, haben Blut und Wasser geschwitzt, wir sind im Regen und in der Sonne gefahren, wir haben zusammen gelacht und geweint. Es ist Bruderschaft, Ehrlichkeit, nichts Fal- sches. Alle haben schwer dafür gearbeitet. Jeder hat gegeben, was er konnte. Und dann liegen sich alle in den Armen.

Vielleicht ja schon am Sonntag. Aber die Tour bleibt Ihr Höhepunkt?
Sicherlich. Das ist der alles überstrahlende Event, und sehr hart: Bei der Tour fährst du schon zwei Stunden mit 60 km/h, bevor die erste Gruppe weg ist. Der Giro ist langsamer, aber sehr schön und ideal für einen älteren Rennfahrer als Tour-Vorbereitung. Auch für Jan Ullrich scheint mir das richtig.

Braucht ein älterer Körper weniger Vorbereitung?
Mit 22 stellst du nach dem Training das Fahrrad in die Ecke, gehst duschen und mit der Freundin ein Eis essen. Mit 34 musst du erst mal ne Stunde auf dem Sofa liegen und die Beine hoch legen. Es ist wie ein Oldtimer. Der kann auch noch 200 km/h fahren. Aber du musst hier mal Öl nachgießen und dort mal eine Schraube nachregulieren. Wer weiß, wozu meine Pause nach dem Sturz gut war. Vielleicht gewinne ich ja noch die Deutschlandtour, die Hessenrundfahrt und die Polenrundfahrt und habe das beste Jahr, das man sich vorstellen kann.ND: Mit 34 Jahren die erste Italienrundfahrt - wie gefällts Ihnen?
Voigt: Bisher sehr gut. Es ist schon ein anderes Fahren als bei der Tour de France. Es ist einfacher: Es gibt weniger Stress und weniger Stürze. Es passieren hier aber auch verrückte Dinge. Wie diese super-steile Ankunft auf dem Kronplatz am Mittwoch. In den Augen der Rennfahrer ist es mehr als überflüssig, dass extra eine Straße in die Landschaft geklatscht wird, die wir dann hochkommen sollen.

Sie konnten nach einem Sturz lange nicht trainieren. Wie gingen Sie damit um?
Ich war sauer. Ich bin ja der traditionelle Frühstarter. Aber dieses Jahr, im hinteren Teil des Pelotons, habe ich ganz neue Fahrer kennen gelernt, Fahrer, die ich vorher nie gesehen habe. Ich habe die gefragt: »Du bist auch Profi? Wie lange bist du denn schon dabei?« Ich habe viele neue Freunde gefunden dadurch.

Sind Sie jetzt vorsichtiger, weil es mit der Unverwundbarkeit ein Ende hatte?
Seit ein, zwei Jahren fahre ich schon vorsichtiger. Als du jung warst, bist du nach einem Sturz aufgesprungen, hast dir kurz den Staub von den Schultern gewischt, gelacht und bist weitergefahren. Heute liegst du am Boden und denkst: Mann, tut das weh. Tja, das ist das Alter.

Sie waren für einige Tage in Reichweite des Rosa Trikots. Hat Sie da mehr Ihr Abstand nach vorn interessiert oder der zwischen Basso und dessen Rivalen?
Ivans Abstand. Als Teamchef Bjarne Riis mich gefragt hat, ob ich den Giro fahren will, war mir mit aller Konsequenz klar: Das ist nicht »Jens Voigt geht das Trikot holen« oder »Jens Voigt geht attackieren«. Das hier ist die Ivan-Basso-Show.

Erfordert dieses Zurückstecken Selbstdisziplin?
Jetzt nicht mehr. Ich bin mit mir selbst im Reinen. Ich habe einige Rennen gewonnen, 40 oder 41, große, kleine, mittlere. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Aber was ich noch nie geschafft habe, ist eine große Rundfahrt mit meinem Kapitän zu gewinnen. Ich betrachte den Giro als eine Art Generalprobe für die Tour, wo wir auch noch einmal ganz vorn mitfahren wollen. Es ist wie im Fußball: Auch der Verteidiger, der kein Tor geschossen hat, ist Champions-League-Sieger. Man ist auch Tour de France-Sieger, wenn man in der siegreichen Mannschaft dabei war.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie einen Ausreißversuch starten?
Manchmal denkt man: Geschafft, jetzt bilden wir eine Gruppe! Machmal aber auch: Warum bin ich jetzt schon wieder dabei? Oft muss man einfach folgen. Wir können keine Gruppe wegfahren lassen, ohne dass einer von uns dabei ist. Da gehst du fünf Mal mit, und dann blickst du dich um, und denkst: Das kann nicht wahr sein, ich bin schon wieder hier vorne!

Was ist schwieriger, wegzukommen oder vorn zu bleiben?
Um wegzukommen musst du eine Menge Kraft investieren. 65 Prozent Leistungsvermögen reichen nicht. Du musst alles geben, und wenn du weg bist, musst du umschalten auf Marschtempo, wo du mit 60-80 Prozent fährst. Wenn du merkst, die im Feld geben Gas, musst du auch Gas geben. Du hast deine fünf Minuten Vorsprung, und wenn es auf die 30-km-Marke zugeht oder die hinten Gas geben, dann musst du versuchen, dagegen zu halten.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie es geschafft haben?
Das ist das Beste. Sprintetappen gewinnen nur die Sprinter - der eine oder der andere aus einem kleinen Kreis. Aber wenn du allein fährst, kämpfst du gegen alle. Jeder ist da dein Gegner, und deine Chancen sind minimal. Wenn du trotzdem durchkommst, bist du umso besser. 100, 200 m vor dem Ziel ist dann Zeit, das zu genießen. Du kannst freihändig fahren, das Trikot ein wenig zurechtzupfen und du spürst: Das ist mein Augenblick. Ich habe es geschafft, ich habe alle anderen ausgetrickst, ich habe sie geschlagen. Ein köstlicher Augenblick, in dem dein Körper Glückshormone ausschüttet. Die ganze Magie ist sofort zerstört, wenn du über die Ziellinie kommst. Dann stürzen alle auf dich ein, zerren an dir rum. Aber wenn du alleine ankommst, dieses heranbrandende Geräusch der Zuschauer ... Da fährst du wie durch einen kleinen Tunnel. Für diese Momente fahre ich Rad.

Wie fühlt sich dagegen ein Rundfahrtsieg mit Basso an?
Anders, aber auch sehr schön. Das ist dieses Wir-Gefühl. Wir alle haben gelitten, sind gestürzt, haben Blut und Wasser geschwitzt, wir sind im Regen und in der Sonne gefahren, wir haben zusammen gelacht und geweint. Es ist Bruderschaft, Ehrlichkeit, nichts Fal- sches. Alle haben schwer dafür gearbeitet. Jeder hat gegeben, was er konnte. Und dann liegen sich alle in den Armen.

Vielleicht ja schon am Sonntag. Aber die Tour bleibt Ihr Höhepunkt?
Sicherlich. Das ist der alles überstrahlende Event, und sehr hart: Bei der Tour fährst du schon zwei Stunden mit 60 km/h, bevor die erste Gruppe weg ist. Der Giro ist langsamer, aber sehr schön und ideal für einen älteren Rennfahrer als Tour-Vorbereitung. Auch für Jan Ullrich scheint mir das richtig.

Braucht ein älterer Körper weniger Vorbereitung?
Mit 22 stellst du nach dem Training das Fahrrad in die Ecke, gehst duschen und mit der Freundin ein Eis essen. Mit 34 musst du erst mal ne Stunde auf dem Sofa liegen und die Beine hoch legen. Es ist wie ein Oldtimer. Der kann auch noch 200 km/h fahren. Aber du musst hier mal Öl nachgießen und dort mal eine Schraube nachregulieren. Wer weiß, wozu meine Pause nach dem Sturz gut war. Vielleicht gewinne ich ja noch die Deutschlandtour, die Hessenrundfahrt und die Polenrundfahrt und habe das beste Jahr, das man sich vorstellen kann.

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