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Von Sandra M. Sensmeyer

  • Lesedauer: 10 Min.

Was sehr gut ist, ist, dass die Busse hier halten müssen. Die halten immer an der roten Ampel.» Roland Busche, Pressesprecher des PDS- Kreisverbandes Bielefeld, blickt mit Handy am Ohr aus dem Fenster. Draußen liegt das Goldene Dreieck des Westens: Drei Kneipen an einer Kreuzung. Cafe Berlin, kühl-großstädtlerisch; Cafe Wunderbar, dunkel-rauchig; und das Desperado: gruftig, mörderlaut.

Die PDS ist angekommen im Westen, genauer: Im Bielefelder Westen. Hier wohnen Studenten, Migranten, Alteingesessene; Altbauten und ein großer Marktplatz mit Bürgerzentrum verbreiten Flair. Man trifft sich. Auch entlang der «Lebensader» des Westens, der Arndtstraße. Von Ökoläden über den Schlüsseldienst bis hin zum Waschsalon - alles ist da. Und jetzt auch die politische Grundversorgung. Seit Anfang März residiert die PDS Bielefeld in 25 m2 (West-)Deutschland in der Arndtstraße 20, genau neben dem Desperado. «Es gab einige, die wollten uns nicht, die hatten Vorbehalte», erinnert sich Roland Busche. Ein halbes Jahr hatten die PDSler nach einer Bleibe gesucht. Beim Desperado stießen sie auf keinerlei Berührungsängste - vor gar nichts: «Totenköpfe stehen da rum! Als wir den Mietvertrag unterschrieben, sagt die Barbara: Pack doch den Kunstkrempel da weg. Sagt der Rudi: Nee, guck mal, der ist echt: Klapp, klapp!» Der Pressesprecher schüttelt sich vor Lachen. «Aber die heißen wohl auch >der Hoffnungslosem Ja, hier sind wir genau richtig.»

Zur Arndtstraße hin gibt es ein großes altes Schaufenster. Die Auslage besticht durch Nüchternheit: angepappte Plakate an der Scheibe, dahinter ein riesiger Rippenheizkörper. Nur die, «die in den Bussen sitzen, die immer bei Rot halten müssen», können der PDS in die gute Stube gucken. Wie früher, bei der Kaffefahrt zur Zonengrenze.

Spannendes gibt es nicht zu sehen. Es ist ein kahler Raum, der neue Laminatboden und die weißen Wände überdecken den leicht schäbigen Eindruck nur unvollständig. «Wir haben zwei Neonröhren, es funktioniert aber nur die im hässlichen Teil», entschuldigt sich Roland Busche. Den «hässlichen Teil» ziert eine speigelbe Kachelwand. Eine Mischbatterie hängt verloren aus den Fliesen; die Spüle fehlt. Der «hübsche Teil» beherbergt im Wesentlichen ein quadratisches Tischlein und ein paar Stühle. Es riecht nach frischer Farbe. An der Zimmerdecke steht «PDS», etwas krakelig und in irritierendem Lindgrün.

Der Pressesprecher hat aufgehört zu telefonieren und bittet zum Tisch. Die Mandatsträger haben direkt aus der Ratssitzung angerufen. «Tierisch laut» sei es gewesen und «unglaublich wichtig» habe es geklungen, meint Roland Busche: «Wenn sie heute noch kommen, dann kommen sie später». Der rundliche Mann findet offenbar gern eindeutige Worte. Angeblich schnauzt er auch schon mal Pressevertreter an, die nicht zu seinen Terminen erscheinen. Eigentlich ist er Hauptschullehrer. «Ein Vater hat mal gesagt: Mit linksradikalen Lehrern fährt mein Sohn nicht auf Klassenfahrt, und ist zur Bezirksregierung gelaufen. Doch die Schule hat sich hinter mich gestellt.»

Ganz allein vertreten muss Busche seine Partei an diesem Abend aber nicht. Sabahattin Karakoc, genannt Sebo, tritt durch die Ladentür. Der Pädagogik Student ist einer der beiden Vorstandssprecher des Kreisverbandes. Seit kurzem arbeitet er in einem Jugendzentrum. Mit seinem zurückgekämmtem Haar und dem glatten Gesicht geht er dort oft noch als Besucher durch. Sebo engagiert sich in der Flüchtlingsarbeit; unterstützt Landsleute bei Behördengängen. Der 28-Jährige, der mit acht Jahren aus Kurdistan nach Bielefeld emigrierte, spricht perfekt Deutsch, Tür kisch und zwei Dialekte Kurdisch.

Busche und Karakoc repräsentieren den «jungen» Teil der PDS Bielefeld. Sie kamen erst kurz vor der Kommunalwahl '99 zum Kreisverband. «Davor habe ich auch die PDS gewählt, obwohl ich nicht Mitglied war», erzählt Sebo. «Ich wurde dann angesprochen, ob ich als Migrant kandidieren will.» Für ihn sei die PDS die einzige Partei, die sich glaubwürdig für Flüchtlinge und gleiche Rechte für alle einsetze. Roland Busche dagegen hat einer anderen Partei den Rücken gekehrt. «Ich habe die Grünen '82 mit aufgebaut, in der Bezirksvertretung gesessen - und jetzt sagt der Fischer, manchmal bin ich stolz auf Deutschland und manchmal nicht. Ich bin einfach geschädigt, ich bin auch erst 36.»

Wie Busche fanden vor zwei Jahren viele frustrierte Bielefelder Grüne den Weg in die PDS. Enttäuscht nach der Abkehr ihrer Partei von ihren alten Zielen; entsetzt über die Zustimmung zum NATO- Einsatz in Jugoslawien. Gegründet hatten die PDS Bielefeld die Ex-DKP-Mitglieder Albert Heidinger und Barbara Schmidt. Das war 1991. Jahrelang werkelten sie relativ unbemerkt vor sich hin, fuhren trotzdem bei Bundestags- und Europawahl gute Ergebnisse ein. Und plötzlich gab es vierzig Mitglieder, hundert Sympathisanten. Die Kommunalwahl bescherte der PDS drei Prozent in Bielefeld, sogar acht Prozent im traditionell grünen Westen.

Das bedeutete zwei Ratsmandate, einen Sitz in der Bezirksvertretung - und die Aufmerksamkeit des Landesverbandes. Quasi als Belohnung kam das Okay fürs Büro; der Landesparteitag fand in Bielefeld statt, und Sebo durfte als einer von vier NRW-Delegierten zum Bundespar teitag nach Cottbus. Dort merkte er, dass die PDS im Osten etwas recht anderes ist: «Es ist eine andere Struktur. Ich hatte schon das Gefühl, als ob ich mit einigen PDS-Anhängern dort Probleme bekommen könnte - weil ich Ausländer bin.» Auch Roland Busche hatte bei der diesjährigen Luxemburg-Liebknecht-Demo seine ganz eigenen Erlebnisse mit den Ostlern: «Wir hatten ein großes Transparent. PDS Bielefeld grüßt alle Sozialisten. Das war ne prima Aktion. Und dann defilierte die PDS Eisenhüttenstadt mit erhobener Faust an uns vorbei.»

Die Wurzeln seien andere, sind sich beide einig; aber die Ideologie verbinde, der Wunsch nach einer denkbaren Alter native zum Kapitalismus. Die Bielefelder PDS ist von Ostalgie weit entfernt, stochert noch nach ihrer politischen Nische. «Wir wollen hier eine Datenschutzberatung einrichten», erläutert Roland Busche. Außerdem kümmert sich die PDS um lokale Themen: Ein Museum für alte Stadtmauern statt eines Einkaufszentrums, Privatisierung städtischer Betriebe, Verkehrsberuhigung, Flüchtlingspolitik. «Wir hatten eigentlich vor, die Ratsarbeit als eine Art Plattform für die außerparlamentarische Arbeit zu nutzen. Das ist uns nicht ganz so gelungen», bedauert Sebo. Roland Busche ergänzt: «Diese Diskussion: Was wollen wir in der Kommunalpolitik? - die haben wir einfach versäumt.»

Es ist spät. Die Ratsmitglieder sind nicht mehr gekommen. Einer wird gar nicht mehr kommen. PDS-Bezirksvertreter Uwe Mühlenmeier erklärte vor wenigen Wochen mit einem knappen Fax seinen Rücktritt und seinen Austritt aus der Par tei. Bei diesem Thema werden Sebo und Busche etwas still. Überrascht seien sie gewesen. Vielleicht habe der 20-Jährige die Belastung im Amt und die Diskussionen nicht ausgehalten. «Ich war schwer angeschlagen», gesteht Roland Busche schließlich. «So was passiert nicht ohne Streit. Uns soll keiner mehr verloren gehen.»

Eine Woche später nieselt es in Bielefeld. Irgendeine Form von Regen fällt meist. Das ist genau so typisch für das Oberzentrum Ostwestfalens wie der latente Minderwertigkeitskomplex seiner Bewohnerinnen. «Die freundliche Baustelle am Teutoburger Wald» nennen sie ihre Stadt: im zweiten Weltkrieg ausgebombt, in Wirtschaftswunderzeiten abgerissen, seit den 80ern krampfhaft auf Großstadt getrimmt. Die Einheimischen sprechen Hochdeutsch: «Wo kommstn Du wech?» - soll heißen: Woher kommst Du denn? Aus Bielefeld eben, wie Dr. Oetker auch. Man fährt auch «um den Pudding», wenn man im Viertel einen Parkplatz sucht. In der Arndstraße 20 glüht die einsame Neonröhre. Wieder steht Roland Busche mit dem Handy am Ohr hinter der Scheibe. Doch diesmal reichen drinnen die Stühle kaum aus. Es ist Diskussionsabend bei der PDS. Von nebenan dröhnt Musik. Die schwarz gewandete Bedienung des Desperado stellt Getränke ab. Sieben Männer und zwei Frauen drängeln sich um das quadratische Tischlein: Die Ratsmitglieder Albert Heidinger und Beate Niemeyer, Busche und Sebo, Nils Rullkötter, Christine Rothwell, Peter Ridder-Wilkens, Rudolf «Rudi» Klamann und Her bert. Herbert ist zum ersten Mal da. Sebo stellt die Tagesordnung vor und führt die Rednerliste. Es geht um das Deligiertenprinzip für den Landesparteitag, um Ter mine und um ein Bürgerbegehren. Und dann hat Nils seinen «großen Auftritt». Nils ist Anfang dreißig, studiert Betriebswirtschaft und ist der zweite Delegierte zum Bundesparteitag. Er verteilt ein kopiertes Konzept für eine Aktion für den 1. Mai. «Arbeitgebermacht braucht Gegenkraft» steht da in einer steilen Handschrift. Irgendwer lacht. Nils aber meint es sehr ernst mit seinem Vorschlag; er will im Vorfeld des Maifeiertages eine Diskussionsveranstaltung zum Thema «Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes» organisieren.

Nils' Slogan ruft Rudi auf den Plan: «Nicht jeder Unternehmer ist gleich ein böser Mensch». Der 33jährige ist der einzige «gelernte» DDR-Bürger in der Runde. Und der einzige Unternehmer: «Klamann- Transporte» steht im Telefonbuch. «Alles Kla, Mann. Ich weiß, wie beschissen es ist, von Arbeitnehmern beschissen zu wer den». Trotzdem, und trotz seiner «typischen DDR-Karriere: Pionier, FDJ, Polytechnische Oberschule, Lehre, Offiziersbewerber, Studium zum Ingenieur, kritisch geworden, in Ungnade gefallen, Fluchtversuch, Inhaftierung, Freikauf» ist Rudi in der PDS. «Ist doch ganz normal! In der DDR ist man sowieso geschult, politisch aufzutreten. Ich halte das nicht unbedingt für falsch.» Im Westen habe er viele Parteien durchgecheckt; die PDS sei für ihn die gewesen, die am meisten Profil zeigt.

«Die PDS ist im Osten Volkspartei; hier im Westen sind das alles Leute aus sektiererischen Kreisen», bringt Peter Ridder Wilkens die Gemengelage am quadratischen Tisch auf den Punkt. Über sich selbst sagt er- «Ich bin Kommunist.» Kommunist auf Umwegen: Der 41-jährige Sozialarbeiter kommt aus der Hausbesetzerszene, war bei den Grünen, hat dann mit Jutta Ditfurth die «Ökologische Linke» gegründet. Während des Kosovo-Krieges landete er im Antikriegs-Bündnis, danach skeptisch bei der PDS. «Hier gibt es wenigstens aufrechte Genossen, mit denen man zusammenarbeiten kann.»

Die «aufrechten Genossen» in Bielefeld bringen sehr unterschiedliche Lebensgeschichten mit. Christine Rothwell ist Steuerfachgehilfin und engagiert sich für Umweltpolitik. Herbert, der Neue, ist Busfahrer und hauptsächlich genervt: von den Gewerkschaften, den Grünen, der Politik allgemein. Gemeinsam ist ihnen allen vielleicht die Motivation, die auch Beate Niemeyer in die Politik getrieben hat: «Ich wollte immer zu denen gehören und für die kämpfen, die sonst keine Lobby haben.» Als Kind hatte die heute 38-Jährige Pirat werden wollen, «aber da gab es keine Lehrstellen». Stattdessen studierte sie Philosophie, schlug sich mit verschiedensten Jobs durchs Leben und focht für Flüchtlingsinitiativen. Jetzt sitzt die ver hinderte Piratin im Bielefelder Rat und är gert sich über Papier-Berge: «Die schmeißen uns zu mit Drucksachen.» Mindestens 4000 Seiten stapelten sich in ihrer 18m2- Wohnung, sie komme kaum noch durch die Tür. «Manchmal habe ich schon gedacht, ich mache jetzt das Fenster auf und schmeiße alles schreiend raus.»

Albert Heidinger dagegen scheint in seinem Rats-Mandat aufzugehen. Der 46- Jährige fällt auf durch seine schnittige Brille und seinen blondierten Bürstenschnitt. Er ist einer, der sich durchwühlt: «Ich war die ersten sechs Jahre meines Lebens im Heim, zwischendurch auf einer Sonderschule für Legastheniker, aber auch mal in der Studienstiftung Fritze Ebert. Ich habe die Sinnhaftigkeit von Chancengleichheit und solidarischer Unterstützung selbst hautnah erlebt.» Heidinger ist Sozialarbeiter und arbeitet in der außerbetrieblichen Ausbildung für Jugendliche.

Die Runde löst sich langsam auf. Man geht zum Bezahlen nach drüben. Draußen ist es dunkel, die nasse Straße glänzt. Drinnen fällt die frische Farbe schon wieder von der Parteibüro-Decke. «PDS» leuchtet lindgrün im Neonlicht. «Das hatte hier vorher alles diese Farbe. Ich habe einfach angefangen zu malern und das stehen gelassen», erzählt Sebo grinsend. Mit der zittrigen Handschrift habe Sebo aber nichts zu tun. Sagt Pressesprecher Busche, gewohnt deutlich: «Der Genosse, der nach ihm kam, hat's dann versaut».

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