Löcher in der Zwickauer Grasnarbe

In der sächsischen Stadt, in der die NSU-Terroristen lebten, ist man weiter uneins über Umgang mit dem Thema

  • Hendrik Lasch, Zwickau
  • Lesedauer: 5 Min.
Das rechte Terrortrio NSU lebte bis zum 4. November 2011 unerkannt in Zwickau. Zwei Jahre nach dem Auffliegen ist die sächsischen Stadt weiter uneins, ob und in welcher Form daran erinnert werden soll.

Am Rand einer Rasenfläche im Zwickauer Stadtteil Weißenborn steht ein Bauschild. »Baustelle Frühlingsstraße 26« ist auf der Tafel zu lesen: »Hier entsteht ein Raum für Dialog«. Das Schild und die Straßenlaterne daneben sind allerdings kaum höher als die Grashalme, die dahinter wachsen. Sie gehören zu einer Kunstaktion, zu der die Künstlergruppe »Gras Lifting Camp« vor einer Woche eingeladen hatte - am 4. November, also jenem Datum, an dem Zwickau vor zwei Jahren schlagartig und wider Willen bundesweit bekannt wurde.

Bis zum 4. November 2011 wuchs in der Frühlingsstraße 26 nicht nur Wiese. Dort stand ein zweistöckiges Haus, das an dem Tag teilweise in die Luft flog - vermutlich angezündet von Beate Zschäpe, der einzigen Überlebenden des Terrortrios NSU, die dessen langjährigen Unterschlupf zu vernichten suchte. Von der Wohnung in dem gutbürgerlichen Viertel brachen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auf, um Ladenbetreiber und Unternehmer mit türkischen und griechischen Wurzeln zu erschießen. Insgesamt neun Migranten und eine Polizistin ermordete der NSU.

Zwei Jahre nach dem Ende des NSU will das »Grass Lifting Camp« verhindern, dass neben der Brache auch die Erinnerung an das Terrortrio in Zwickau von Gras überwuchert wird. Die Initiative plädiert für einen Ort, an dem »Aufklärung und Aufarbeitung für eine breite Öffentlichkeit stattfinden«, wie Franz Knoppe sagt. Der Diplomverwaltungswissenschaftler ist Mitgründer der Gruppe von Künstlern, Theaterleuten und Historikern. Diese hatte mit einer ersten Aktion am 6. Mai 2013 auf sich aufmerksam gemacht - am Tag, als in München der Prozess gegen Zschäpe und etliche NSU-Unterstützer begann. Jenseits von Zwickau wird die Arbeit der Gruppe aufmerksam registriert. Vorige Woche erhielt das »Grass Lifting Camp« eine Anerkennung beim Sächsischen Förderpreis für Demokratie.

In der Stadt selbst stößt deren Anliegen, im öffentlichen Raum an den NSU zu erinnern, freilich auf deutlich weniger Enthusiasmus. Sie sei strikt dagegen, einen »Erinnerungsort« zu schaffen, der sich womöglich zur »Pilgerstätte« entwickeln könnte, sagte Pia Findeiß, die SPD-Oberbürgermeisterin der Stadt. Aus eben diesem Grund sei das Haus in der Frühlingsstraße 26 einige Monate nach der Explosion abgerissen worden: »Dort fuhren ja bereits Reisebusse hin!«

Allerdings geht es nicht nur um die Frage, ob unerwünschte Gäste angezogen werden könnten, sondern darum, ob Zwickau als ein langjähriger Wohnort der Rechtsterroristen überhaupt eine besondere Verantwortung hat. Mario Pecher, ein Landtagsabgeordneter und Stadtrat der SPD, bestreitet das: »Ich ziehe mir als Zwickauer nicht jede Jacke an.« Er hält es für einen Zufall, dass sich das Trio gerade in Zwickau niederließ. Die Meinung teilen längst nicht alle in der Stadt. »Es gab gute Gründe, dass die Drei hier landeten«, sagt André Löscher, Mitarbeiter der RAA-Opferberatung Chemnitz. Er verweist auf ein breites Unterstützerumfeld in der westsächsischen Naziszene.

Löscher, selbst gebürtiger Zwickauer, hält der Stadt immerhin zugute, sich mit dem Thema zu beschäftigen - anders als Orte wie Jena, Chemnitz oder Johanngeorgenstadt, die ebenfalls eng mit dem NSU und dessen Helfern verbunden sind. Die Stadt habe freilich auch gar keine andere Wahl, sagt der DDR-Bürgerrechtler und Ehrenbürger Erwin Killat. Zwar glaubt auch er, dass Zwickau keine »funktionale Bedeutung« für den NSU hatte. Weil aber die Stadt in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem Trio verbunden bleibt - Medienberichte sprachen zunächst sogar von der »Zwickauer Zelle« -, müsse die Kommune reagieren: »Aus den Ereignissen wächst uns das zu.«

Löscher regt an, dass sich Zwickau mit den anderen NSU-»Wohnstädten« verbündet und überlegt, »wie man gemeinsam die Opfer würdigen kann«. Bisher haben sich nur die Städte, in denen die NSU-Morde geschahen, auf eine einheitliche Form der Erinnerung geeinigt; so wurden vorige Woche in München zwei Gedenkplatten eingeweiht.

Eine Würdigung der Opfer hätte man sich auch in Zwickau vorstellen können, sei aber gescheitert, sagt Oberbürgermeisterin Findeiß. Sie hatte im Mai 2012 vorgeschlagen, ein Dokumentationszentrum für Opfer rechter Gewalt einzurichten, das es in der Bundesrepublik bisher nicht gibt. Allerdings hatte sie Bund und Land um Unterstützung gebeten. Allein, sei die Stadt »überfordert«, wie Findeiß meint. Aus Berlin und Dresden gab es aber ablehnende Reaktionen.

Alles eine Frage der Dimension, erwidert Franz Knoppe von den »Grassliftern«. Die Gruppe hatte zuletzt an Orten in Zwickau, die mit dem NSU verbunden sind, so genannte QR-Codes angebracht. Diese Muster können mit einem Smartphone eingelesen werden; Besucher landen auf einer Internetseite, die Informationen zum NSU bereithält. Solche Angebote könnten zwar auch in privater Initiative entstehen. Bei der Künstlergruppe ist man aber der Ansicht, dass sich die Stadt als Ganzes positionieren sollte.

Die diskutiert derzeit eher, ob das vorhandene Mahnmal für die Opfer des Faschismus am Schwanenteich auch zum Gedenken an die NSU-Opfer dienen könnte. Findeiß hält das für eine gute Idee: So würde deutlich, dass es eine Kontinuität von der NS-Ideologie zu jener der neuen Nazis gibt. Zur Zeit läuft in Schulen der Stadt ein Projekt, das Vorschläge entwickeln soll. Kritiker sehen darin aber eine unangemessene Vermischung.

In einer Umfrage, die das Zwickauer Bündnis für Demokratie und Toleranz durchführte, gab es auch noch andere Vorschläge, zum Beispiel ein Stipendium für ausländische Studenten - der NSU hatte schließlich vor allem Zuwanderer im Visier. Allerdings belegt die Umfrage indirekt auch, dass sich nur eine kleine Minderheit der 90 000 Zwickauer für das Thema interessiert: Von 5000 verschickten Postkarten kamen ganze 23 zurück. Ein Bürgerforum, zu dem das Bündnis für Demokratie am Freitag eingeladen hatte, lockte zwei Dutzend Kommunalpolitiker und Engagierte an. Viele Zwickauer seien des Themas NSU überdrüssig, glaubt Ulrike Lehmann, Ausländerbeauftragte der Stadt. Sie empfänden die Debatte über das Erinnern als »Gängelei«, sagt sie und warnt: »Man kann den Bürgern nichts überstülpen, was sie nicht wollen.« Aus dieser Sicht wäre es wohl am besten, wenn dauerhaft Gras über die Sache wüchse.

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