Damit sich die Katastrophe nicht wiederhole

Wolfgang Abendroth und die deutsche Novemberrevolution

  • Andreas Diers
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Erinnern an die Novemberrevolution vor 95 Jahren ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil diese - genauer ihr letztlich weitgehendes Scheitern - den Gang der anschließenden historischen Entwicklung nicht nur in Deutschland, sondern weltweit wesentlich mitbestimmt hat. Der imperialistische Erste Weltkrieg mündete in einen globalen Revolutionszyklus. Neben der Oktoberrevolution im russischen Zarenreich kam der deutschen zweifellos die größte Bedeutung zu. Die Bolschewiki hofften auf einen Erfolg der Revolution in Deutschland - auch als Initialzündung für weitere Revolutionen.

Man stelle sich einmal vor: Rosa Luxemburg und W.I. Lenin zusammen mit anderen Sozialisten, linken Sozialdemokraten und Kommunisten als Strategen und Taktiker von weltweit erfolgreichen revolutionären Prozessen. Die Weltgeschichte wäre bei einem Sieg der deutschen Novemberrevolution sicherlich vollkommen anders verlaufen - ohne Stalinismus, ohne Faschismus, ohne Holocaust, ohne Zweiten Weltkrieg, ohne Hiroshima und Nagasaki, ohne Vietnamkrieg ...

Warum und woran scheiterte die deutsche Revolution letztlich? Einer, der sie als zwölfjähriger Knabe miterlebt hat, war der Kommunist und spätere Linkssozialist Wolfgang Abendroth. Seine »Gedanken zur Revolution« hat er im November 1968 in den »sozialistischen heften«, dem Organ der heute bedauerlicherweise weitgehend unbekannten Vereinigung Unabhängiger Sozialisten, veröffentlicht. Abendroths »Gedanken« vermitteln ein plastisches, differenziertes und realistisches Bild der Geschehnisse 1918/19 und schildern die »Mentalitäten« der damals agierenden Klassen, Schichten, Personen.

Die Matrosen, die Ende Oktober 1918 mit ihrem Aufstand gegen die Fortführung des Krieges und sinnloses Sterben das Signal gaben, wie auch die Arbeiter der Großbetriebe, die sich ihnen anschlossen, verband die gemeinsame Einsicht: Am furchtbaren Krieg waren nicht nur die Reichsregierung und die Generäle schuld. Der Krieg war eine »Konsequenz des politischen Herrschaftssystems und vor allem der sozioökonomischen Macht, die in den Händen der Großindustriellen, der Großbanken und der Großagrarier« lag. So Abendroth. Deshalb genüge nicht nur ein sofortiger Friedensschluss. Es müsse die kapitalistische Wirtschaftsordnung beseitig werden, um in Zukunft eine »Katastrophe« wie den Ersten Weltkrieg zu verhindern. Zwar hatten »die Volksmassen keine völlig klaren Vorstellungen davon, was sie im einzelnen als nächste Schritte wollten. Aber fest stand für sie: Der monarchistische Staatsapparat, nicht nur dessen personelle Spitzen, hatte abzutreten und das gesellschaftliche System müsse sozialistisch werden. Das Beispiel der Oktoberrevolution in Rußland hatte mit diesen Grundzielsetzungen gezündet«, meinte Abendroth.

Die revolutionär gesinnten und handelnden Arbeiter, Soldaten und Matrosen konnten sich nicht vorstellen, dass der Sozialdemokrat Friedrich Ebert als Mitglied des Rates der Volksbeauftragten sofort Verbindung zur Obersten Heeresleitung (OHL) aufnehmen und seinen Parteiapparat auf ein Bündnis mit der alten kaiserlichen Bürokratie und dem alten kaiserlichen Offizierskorps einschwören würde. Sie begriffen nicht, dass die von den SPD-Führern geforderten raschen Wahlen zur Nationalversammlung »fast unvermeidlich zu der Entwicklung führen mußte, die sich seit Anfang 1919 dann durchgesetzt hat, zur Wiederherstellung der politischen Macht und zur Sicherung der ökonomischen Positionen der herrschenden Klassen, die auch vor dem 9. November 1918 das deutsche Reich beherrscht hatten«, schrieb Abendroth.

Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet. Die Novemberrevolution war ihrer führenden Köpfe beraubt. Und die parlamentarisch-demokratischen Republik »konnte nur als vorübergehendes Ergebnis fortbestehen, weil die bürgerlichen Klassen sich auch ihrer und der sozialpolitischen Konzessionen, die sie hatten... machen müssen, wie der Sozialdemokratie selbst möglichst rasch entledigen wollten«, urteilte Abendroth. Gewiss hat es nach 1919 noch manche Chancen für einen anderen Weg gegeben, aber »die Wurzeln des 30. Januar 1933 liegen im 15. Januar 1919, wie der 15. Januar 1919 seine Grundlage in jenem Bündnis hatte, das die Mehrheitssozialdemokratische Führung bereits am 9. November 1918 mit der OHL und das die Gewerkschaftsführer am 15. November 1918 mit den Industriellen eingegangen waren«.

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