Wir lassen uns nicht austricksen

  • Laura Valentukeviciute
  • Lesedauer: 4 Min.
Laura Valentukeviciute engagiert sich bei attac und arbeitet als Koordinatorin bei Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB).
Laura Valentukeviciute engagiert sich bei attac und arbeitet als Koordinatorin bei Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB).

Im Aufruf zur Demo »Energiewende retten!« am 30. November in Berlin fiel mir folgender Satz besonders auf: »Wir sind doch nicht deshalb mit Hunderttausenden gegen Atomkraft auf die Straße gegangen, damit jetzt immer mehr schmutziger Braunkohlestrom produziert wird«. Und genau dieser Satz offenbarte mir die hinterhältige Taktik der Bundesregierung, die bestimmt nicht ohne tatkräftige Lobbyarbeit und Tipps der Energiekonzerne eine Art Rachezug vollzieht: ihr – also die breite und vielfältige Umweltbewegung – habt die Abschaltung der Atomkraftwerke verlangt, so müsst ihr dafür jetzt büßen und den Ausbau anderer fossiler Energieträger hinnehmen bzw. noch schlimmer - verantworten.

Nach ein paar Gesprächen in meinem Bekanntenkreis wurde mir klar, dass genau diese Strategie Menschen zweifeln lässt, ob es tatsächlich gut war, die Abschaltung der Atommeiler zu verlangen. Denn wenn die CO2-intensiven Energieträger Braun- und Steinkohle jetzt noch exzessiver abgebaut und verbrannt werden, wird die Erderwärmung noch schneller ansteigen. Nicht nur die deutsche Regierung, sondern auch die von Polen, wo letzte Woche ein völlig desaströser Klimagipfel zu Ende ging, oder die von Australien, die mittlerweile die von Menschen verursachte Klimaerwärmung wieder lauthals bestreitet, lassen keinen Zweifel daran, dass das Revival von Kohle jetzt hohe Priorität hat.

Dass die Umweltbewegung aber gleichzeitig den Ausbau der regenerativen Energien gefordert hat, wird von den Regierungen gerne ausgeblendet. Die Förderung dafür wird zurückgefahren und – noch schlimmer – mit der irreführenden Debatte zur EEG-Umlage vorgetäuscht, die Energiewende sei ein sehr teurer Traum der »Ökos«. Gleichzeitig spekulieren Regierung und Konzerne darauf, dass die Fakten über die realen Kosten, die für die Atom- und Kohlekraftwerke für uns alle entstehen, noch nicht in breiten gesellschaftlichen Kreisen bekannt sind. Einige Kosten, wie zum Beispiel Subventionen, sind schon etwas bekannter. Das ändert aber nichts daran, dass die Gesamtsumme mich immer wieder aufs neue schockiert: Nach Berechnungen von Greenpeace betrug die Gesamtsumme der Fördermittel im Zeitraum von 1950 bis 2010 203,7 Milliarden Euro.

Aktuellere Berechnungen gibt es beispielsweise für die Entschädigungen der Energieunternehmen im Rahmen des internationalen Energiecharta-Vertrags. Am Beispiel Vattenfall kann dies besonders gut beobachtet werden: Nachdem die Bundesregierung die Ausstiegsstrategie angekündigt hat, musste der Energieriese Vattenfall seine veralteten Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel abschalten - und verklagte die Bundesregierung auf 3,7 Milliarden Euro Entschädigung. Oder als die Umweltbehörde in Hamburg-Moorburg die wasserrechtlichen Umweltstandards für Moorburg erlassen hat, zog Vattenfall vor Gericht und verlangte 1,4 Milliarden Euro Schadenersatz; mit der Begründung, dass die Auflagen die Wirtschaftlichkeit des Projektes gefährden. Im Ergebnis bekam das Unternehmen genau das, was es wollte – die Umweltauflagen wurden wieder gelockert. Das neueste Beispiel, bei dem die anstehenden Kosten noch unklar sind, ist der Braunkohletagebau in Lausitz. Dort finden gerade heftige Auseinandersetzungen zur Ausweitung der Abbaugebiete statt. Aber wenn die BewohnerInnen es schaffen sollten, den Konzern zunächst zu stoppen, hat er bestimmt schon jetzt eine Klage in petto und rennt wieder zum internationalen Schiedsgericht, um Entschädigungen für die Einschränkung seines Geschäfts und seiner Gewinne einzuklagen.

Die Energiecharta hat so einen Unsinn überhaupt erst möglich gemacht. Darin heißt es, dass die Investitionen eines Energieunternehmens vor den Maßnahmen des Staates, wie zum Beispiel strengere Auflagen bei Klima- oder Verbraucherschutz, geschützt werden sollen.

Wenn man sich die Kosten genauer anschaut, wird klar, wer in jedem Fall gewinnt und wer eben verliert und warum. Deswegen ist die Demo am 30. November nicht nur ein Anlass für die Umweltbewegung, für die Rettung der Energiewende auf die Straße zu gehen, sondern für alle, die solche Geschäftspraxen nicht weiter hinnehmen wollen. Wenn die Energieunternehmen in öffentlicher Hand und unter demokratischer Kontrolle wären, hätten wir BürgerInnen nicht nur mehr Einfluss auf die Geschäftsentscheidungen und -praxis. Unsere Steuergelder würden auch nicht für solch sinnlose und gemeinwohlschädliche Schiedsgerichte und Klagen verschwendet werden und anstatt in die Taschen der Konzerne und Anwälte könnte das Geld in den Ausbau der erneuerbaren Energien fließen.

Die Demo am 30. November startet um 13:30 Uhr am Hauptbahnhof, Washington-Platz.

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