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Die Erwachende

Claudia Michelsen zeigt im TV-Drama »Grenzgang«, warum sie zur ersten Gilde der deutschen Schauspieler zählt

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Wahre Schönheit entsteht bekanntlich im Makel. Claudia Michelsen hat davon gleich mehrere. Ihre Nase hat diesen kleinen Höcker, der sie für Frauenmagazine im Grunde unabbildbar macht. Auch die Augen sind nicht ganz harmonisch, der Mund scheint ebenfalls leicht schief geraten, das ganze Gesicht hat eine leichte Unwucht. Schön ist sie ja, gar bildschön, aber eben nicht titeltauglich. Eigentlich. Dass sie dennoch ständig auf Deckblättern diverser Zeitschriften rund um Fernsehen, Glamour, Pesonality zu sehen ist, muss also andere Gründe haben. Gründe wie den ARD-Film »Grenzgang«.

Auch darin adelt die 44-Jährige mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus Empathie und Distanz, Eifer und Gelassenheit fernstehtaugliche Rührstücke zu vielschichtigen Dramen, die auch auf der Leinwand bestehen könnten. Im zurückhaltenden Melodram von Brigitte Maria Bertele etwa als sprödes, aber schönes Mauergewächs, das Claudia Michelsen auf subtile Weise zwischen Austrocknung und neu Erblühen bewässert.

Tief in der hessischen Provinz vegetiert diese Kerstin Werner mehr dahin als wahrhaft zu leben. Ihr Mann hat eine Neue, die Mutter Demenz, der Sohn Pubertätsallüren und drüber, drunter, mittendrin verödet diese Frau in den frühen Vierzigern mit verbittertem Lächeln auf den Lippen, das alle Last dieser Welt hinter sich verschüttet. Die Melancholie schlägt zwar bald in erlöstes Lachen um, als ihr der ebenfalls gestrandete Großstadtheimkehrer Thomas (Lars Eidinger) zum örtlichen Volksfest »Grenzgang« ein wenig frische Energie in den Alltag bläst; doch so richtig Erlösung finden beide nicht in diesem Ensemblestück um die Sorgen und Nöte des deutschen Mittelstandes. - Was vor allem an Michelsen liegt. Wie sie der Verzweiflung zwischen Trotz und Abwehr ein Gesicht verleiht, wie sie langsam bricht, ohne durchzubrechen, und aufsteht, ohne sich wirklich grade zu machen, wie sie als einzige Frau im primetimetauglichen Spielfilm auch in flachen Schuhen begehrenswert sein darf und ihre strickjackenbewehrte Normalität doch wie eine Monstranz vor sich her trägt - das ist einzigartig, zumal im Fernsehen, diesem Medium, das viel zu klein ist für eine wie sie.

Seit die Absolventin der Berliner Schauspielschule Ernst Busch 1989 vor die Kamera trat und parallel »aus politischer Erwägung«, wie sie betont, aufrührerisches Osttheater spielte, seit der Mauerfall den »revolutionären Impuls der Bühne« in den »Leerlauf banaler Unterhaltung« riss, seither spielt sie alles Mögliche: »Tatort«-Episoden und Historienschinken, US-Produktionen, Kinderfilme, selbst eine Serienkommissarin (»Flemming«). Doch je älter, reifer, je besser und bekannter die einstige Max-Ophüls-Preisträgerin wird, desto häufiger spielt sie Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Nicht, dass dies eine bewusste Entscheidung wäre. »Aber dieses Erwachen«, sagt sie dann, »dieses Gegenangehen«, es fasziniere sie schon.

Und so erwachen ihre Figuren derzeit regelmäßig aus ihrer wattierten Wohlstandswelt. Als Mutter einer Ausreißerin in »Sieben Tage«, als Frau eines Schwerenöters in »Der Turm«. Sie tun es ausnahmslos zur besten Sendezeit, fast immer öffentlich-rechtlich und zusehends mit Michelsen auf Rang eins der weiblichen Besetzungsliste. So selten wie möglich tut es die gebürtige Dresdnerin jedoch in Zonenrollen, und falls sie sich doch mal vom Klischee besetzen lässt, DDR lasse sich am besten DDR-sozialisiert verkörpern, wird daraus garantiert ein preisgekröntes Vorzeigedrama wie »12 heißt: ich liebe dich«, wo sie sich als Stasihäftling in ihren Verhörer verliebt. Auch so eine Geschichte vom Zerbrechen und Aufwachen. Claudia Michelsen Paradedisziplin. Aber eigentlich kann sie fast alles.

»Grenzgang«, ARD, Mittwoch, 20.15 Uhr.

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