Koalitionsvertrag mit Fallstricken

Viele Kompromisse zwischen den angehenden Regierungsparteien Union und SPD sind schwammig formuliert

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach einem langen Verhandlungsmarathon haben sich CDU, CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Diesem müssen nun allerdings noch die Parteimitglieder der Sozialdemokraten zustimmen.

Es war eine lange Nacht. Bis in die frühen Morgenstunden hatten die Unterhändler von Union und SPD in der finalen Runde über die letzten offenen Punkte des gemeinsamen Koalitionsvertrags debattiert. Mehr als 17 Stunden suchten die Politiker nach Kompromissen. Zwischendurch guckte man gemeinsam Fußball und verspeiste Buletten. Auch das war wohl ein wichtiger Aspekt der Annäherung von Sozial- und Christdemokraten, bei denen es zum Teil auch persönliche Vorbehalte gegen das schwarz-rote Zweckbündnis gegeben hatte.

Zwischen den Verhandlern soll es derweil noch einmal bei der Finanzierungsfrage heftig gekracht haben. Die SPD forderte deutlich höhere Ausgaben und Investitionen als CDU und CSU. Letztlich einigten sie sich auf einen Finanzrahmen für Ausgaben und Investitionen bis 2017 von 23 Milliarden Euro zusätzlich. Strittig waren zudem die Einführung eines Mindestlohns sowie die doppelte Staatsbürgerschaft. Nach langem Ringen konnten dann die von Journalisten belagerten Gesprächspartner am gestrigen Mittwochmorgen Vollzug melden.

Der Fahrplan zur Regierungsbildung

Donnerstag 28. November: SPD-Chef Sigmar Gabriel stellt bei einer Regionalkonferenz im Taunusstädtchen Hofheim der SPD-Basis erstmals den fertigen Koalitionsvertrag vor. In den folgenden zwei Wochen wird sich die SPD-Spitze in zahlreichen Veranstaltungen der Basis stellen und für die Große Koalition werben.

Bis Freitag, 6. Dezember: Alle SPD-Mitglieder bekommen die Briefwahlunterlagen zugesandt.

Wochenende 6. bis 8. Dezember: Auf Sonderveranstaltungen in den Unterbezirken und Ortsvereinen soll der Koalitionsvertrag von der Parteibasis diskutiert werden.

Donnerstag, 12. Dezember: Einsendeschluss - bis 24 Uhr müssen die Stimmen im Postfach des Parteivorstands eingegangen sein.

Freitag, 13. Dezember: Die Abstimmungsbriefe werden in eine angemietete Halle in Berlin-Kreuzberg gebracht.

Samstag, 14. Dezember: Die Stimmzettel werden ausgezählt, das Ergebnis könnte noch am Abend veröffentlicht werden. Danach wollen die Parteien die Minister bekannt geben.

Dienstag, 17. Dezember: Der Bundestag soll Angela Merkel mit den Stimmen von Union und SPD erneut zur Bundeskanzlerin wählen. AFP/nd

 

Bei der anschließenden Pressekonferenz am Mittag war allerdings von einer Müdigkeit der Protagonisten nichts zu spüren. Die drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD waren vor der Berliner Bundespressekonferenz bemüht, sich als jeweiligen Sieger der insgesamt fünf Wochen dauernden Verhandlungen darzustellen. Aber eigentlich war es vor allem die Wahlsiegerin und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die hierbei Erfolge vorzuweisen hatte. So werden etwa die von den Sozialdemokraten im Wahlkampf geforderten Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende nicht kommen. »Das ist gut für den Mittelstand«, behauptete die CDU-Chefin. Sie ergänzte, dass die Große Koalition für die Menschen auch »soziale Sicherheit« bringen werde. Tatsächlich haben die angehenden Koalitionäre die prekäre Lage von Erwerbslosen ignoriert und wollen erst Anfang 2015 einen eher mageren Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde starten. Ohne Ausnahmen soll dieser erst ab 2017 gelten. Bis dahin können die Tarifpartner auch Abschlüsse vereinbaren, die unter 8,50 Euro liegen.

Trotz des teilweise heftigen Streits während der Gespräche sprach Merkel von »guten und von Vertrauen geprägten Beratungen«. Dieser Einschätzung schloss sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel an. »Ich stimme allem zu«, kommentierte er das Statement der Bundeskanzlerin. Besonderes Lob fand er für die im Koalitionsvertrag formulierte Regelung zur doppelten Staatsbürgerschaft. »Dieser Schritt ist für die Union ein weiter Weg gewesen«, sagte Gabriel. Er sei sich sicher, dass weitere Schritte folgen werden. Merkel stellte etwas schroff klar, dass sie sich an dieser Prognose nicht beteiligen wolle. Sie hatte auch bei der doppelten Staatsbürgerschaft einen Kompromiss durchgesetzt. Dieser lautet, dass nur für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder ausländischer Eltern der Optionszwang entfallen soll und die Mehrstaatigkeit akzeptiert wird. Für Menschen, die im Ausland geboren sind und erst später nach Deutschland ziehen, ändert sich hingegen nichts.

Auch CSU-Chef Horst Seehofer war der Ansicht, er habe sich in den Verhandlungen durchgesetzt. Bayerns Ministerpräsident hatte gegen den Willen von Bundeskanzlerin und SPD eine Pkw-Maut für Ausländer gefordert. Ob diese jemals kommen wird, ist fraglich. Zwar ist laut Koalitionsvertrag ein entsprechendes Gesetz geplant, das im Verlauf des Jahres 2014 verabschiedet werden soll, aber dieses könnte an Vorgaben der Europäischen Union scheitern. Davon zeigte sich Seehofer unbeeindruckt. Er nannte die Formulierung in dem gemeinsamen Papier von Christ- und Sozialdemokraten »eindeutig«.

Merkel, Gabriel und Seehofer unterzeichneten den Koalitionsvertrag zunächst nur vorläufig. Denn eine schwarz-rote Bundesregierung wird nur dann zustande kommen, wenn auch die SPD-Mitglieder Mitte Dezember für die Vereinbarung stimmen. Aus Rücksicht auf die Sozialdemokraten werden auch die zuständigen Minister erst dann benannt. »In der SPD hat es den Wunsch gegeben, über Inhalte abzustimmen, nicht über Personalfragen«, erklärte Gabriel. Er sei zuversichtlich, dass die Mehrheit der SPD-Basis mit Ja stimmen werde. »Ich kenne meinen Laden ganz gut«, so der Parteivorsitzende. Er will nun gemeinsam mit weiteren Spitzengenossen die Parteimitglieder davon überzeugen, dass die SPD besser aus einer Großen Koalition herauskommen wird, als es nach dem letzten Zusammengehen mit Angela Merkel im Jahr 2009 der Fall war.

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