Steuerfrage spaltet Frankreich

Linksregierung unter Hollande ist mit Protestwelle konfrontiert

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Die »Rotmützen« in der westfranzösischen Bretagne rufen wiederholt zu Protest gegen Steuererhöhungen auf. Doch die Linksregierung plant keinen Kurswechsel.

Dass die Franzosen eine besondere Protest- und Streikkultur pflegen, ist bekannt. Doch angesichts sich wiederholender Negativschlagzeilen ist Frankreich regelrecht von einer Protestwelle erfasst. Alle paar Tage gehen verschiedenste Berufs- und Interessengruppen gegen die Politik der Regierung unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande auf die Straßen, vor allem gegen die geplanten Steuererhöhungen.

So gab es in der Bretagne am vergangenen Sonnabend gleich fünf Demonstrationen. Es beteiligten sich auch Gewerkschaften, die anfangs von den spontan ausgebrochenen Protesten überrascht worden waren.

Dass der Ärger anhält, konnte die Regierung in Paris eigentlich nicht überraschen. In ihren Berichten über die politische, wirtschaftliche und soziale Lage in den Departements, die von den Präfekten Ende Oktober wie jeden Monat nach Paris geschickt und deren Analyse dem Präsidenten sowie dem Premierminister unterbreitet wurden, war das schon vorausgesagt worden. Die Steuerpolitik sei zum »Roten Tuch« für viele Franzosen und zum kleinsten gemeinsamen Nenner verschiedenster Interessengruppen geworden, hieß es. Die stark gestiegene Zahl der Firmenpleiten und Massenentlassungen sorgten für ein weit verbreitetes Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Enttäuschung über die Hilflosigkeit der Regierung, die »meilenweit von den wirklichen Sorgen der Franzosen entfernt« sei. Es drohe eine »soziale Explosion«, warnten die Präfekten. Einige sehen eine politische Krise kommen.

In der Bretagne, wo die Bewegung mit entlassenen Arbeitern der agrarverarbeitenden Industrie und Bauern am Rande des Ruins ihren Anfang nahm und wo der Unternehmerverband die Bewegung der »Rotmützen« als Druckmittel gegen die Linksregierung zu nutzen versucht, mischen nach wie vor auch bretonische Separatisten mit, die die Wut der Bevölkerung gegen »die in Paris« lenken.

In der vergangenen Woche haben zudem landesweit Handwerker und Gewerbetreibende mit Plakaten in ihren Geschäften gegen die für Anfang 2014 geplante Mehrwertsteuererhöhung protestiert. Sie sehen sich dadurch in ihrer Existenz bedroht und vor allem von der Regierung ungerecht behandelt, gar »geopfert«. Schließlich können sie nicht ins Ausland abwandern, wie Industriekonzerne drohen und so Zugeständnisse von der Regierung erpressen.

Nachdem Mitte November Transportunternehmer mit ihren Lkws Straßen um Paris blockiert hatten, haben am vergangenen Wochenende in Paris 15 000 Reiter mit ihren Pferden gegen die geplante Anhebung der Mehrwertsteuer für Gestüte und Reitklubs von sieben auf 20 Prozent protestiert. Denn dadurch drohe »Reiten wieder zu einem Privileg der Reichen« zu werden.

Solche Unmutsbekundungen einzelner Branchen häufen sich. Am Donnerstag vor einer Woche demonstrierten Getreidebauern mit einer Traktorblockade auf den Zufahrtsstraßen zur Hauptstadt gegen die veränderte Verteilung der gekürzten Beihilfen aus den EU-Agrartöpfen. Daraus wurden die Getreidebauern, die schon seit Jahren von den steigenden Preisen auf dem Weltmarkt profitieren, bisher überdurchschnittlich bedacht. Die Linksregierung will dies jetzt zugunsten der Milchbauern und Viehzüchter ändern, von denen viele hoch verschuldet sind und wegen der ungerecht niedrigen Aufkaufpreise von Handel und Industrie um ihre Existenz bangen.

Vereint haben sich verschiedene Protestbewegungen zuletzt auch um die geplante »Ecotaxe« für Lkw auf Nationalstraßen, die die Verlagerung von Transporten auf die Bahn oder den Wasserweg fördern soll. Die dafür errichteten Geräte wurden als Symbole des Staates angegriffen. Dass die Regierung gleich nach dem Fall des ersten Ecotaxe-Radartors eingeknickt ist und die Steuer auf unbestimmte Zeit aussetzte, empört den Linksfront-Politiker Jean-Luc Mélenchon: »Für die Forderungen der Unternehmer hat diese Regierung immer ein offenes Ohr, aber auf dem linken Ohr scheint sie taub zu sein«.

Doch auch die Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken ist von der gegenwärtigen Protestwelle überrascht worden. Anfang Mai hatte Mélenchon noch auf einer Großdemonstration auf dem Pariser Bastille-Platz die Forderung nach einer 6. Republik in den Vordergrund gestellt. Nach der Sommerpause hat die Linksfront zusammen mit den Gewerkschaften vor allem die Rentenreform mit ihrer Erhöhung der Beitragsjahre angeprangert. Erst jetzt wendet sie sich gezielt gegen die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer, die zusätzliche sieben Milliarden Euro in die Staatskasse spülen soll, aus denen die Linksregierung in den zurückliegenden Monaten großzügig 20 Milliarden Euro den Unternehmen zugeschanzt hat - in der Hoffnung auf eine Ankurbelung der Wirtschaft, aber ohne konkrete Verpflichtungen für die Empfänger.

Für Sonntag ruft die Linksfront zu Märschen in Paris und anderen Großstädten unter dem Motto einer »Steuerrevolution« auf. Sie grenzt sich aber ab von den Demonstrationen der »Rotmützen«, die für Sonnabend angekündigt sind. Premier Jean-Marc Ayrault ist schon in die Vorwärtsverteidigung gegangen und hat angekündigt, die Regierung wolle »die gesamte Rentenpolitik von Grund auf neu gestalten«, vereinfachen, transparent und vor allem gerechter gestalten. Damit wolle man ein Versprechen von François Hollande aus dem Präsidentschaftswahlkampf 2012 einlösen. Ob das ausreicht, um die Wogen zu glätten, darf bezweifelt werden, zumal Ayrault gleich hinzufügte, dass es bei der Mehrwertsteuererhöhung bleibe.

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