Brust-OP und Bundeswehr

Auf dem Kiezsofa befragen zwei Berliner andere Hauptstädter nach ihrer Lebensgeschichte

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Promis sollen auch Platz nehmen auf dem Kiezsofa. Aber sie sollen dort nicht allein sitzen. Simon Akstinat und Nadine Kleifges wollen in ihren Stadtteilgesprächen jedermanns Geschichten hören.

Das PriMaria ist normalerweise ein gemütliches bulgarisches Restaurant am Boxhagener Platz. An diesem Montagabend sind jedoch alle Tische in einen Nebenraum verbannt. Stattdessen stehen Stuhlreihen dicht an dicht in dem übersichtlichen Raum. Alle Sitze sind belegt, auch an der Bar. Und wo noch Platz ist, stehen weitere Gäste. Über 60 meist junge Zuschauer füllen den Raum komplett aus. Der Blick richtet sich auf ein beiges Couchungetüm, das entfernt an eine Wolke erinnert.

Bei dem Möbelstück handelt es sich »Kiezsofa«, auf dem Simon Akstinat und Nadine Kleifges zweieinhalb Stunden mehr oder minder prominente Menschen befragen werden, die eines verbindet: Sie wohnen alle in Friedrichshain. Also genau genommen ein Altbezirkssofa, aber wie klänge das denn? Zum Leidwesen der Stehenden beginnt die Sache jedoch erst in einer halben Stunde. Soviel ist schon klar: Dem hyperlokalen Konzept mangelt es nicht an Interesse.

Das zeichnete sich schon im Vorfeld ab. Mehrere Berliner Zeitungen berichteten vorab über die Veranstaltung. »Man wohnt in seinem Kästchen und hat wenig miteinander zu tun«, sagt Simon Akstinat. Interesse für die Nachbarn zu wecken sei die Motivation. »Den Wert bekommt die Veranstaltung dadurch, dass man als Zuschauer direkt mit den Leuten ins Gespräch kommen kann.« Mit Recherche und Interviews kennen sich die beiden aus: Die 26-jährige Kleifges ist freie Fernsehredakteurin, der 35-jährige Akstinat Autor verschiedener Sach- und Hörbücher. Bühnenerfahrung haben sie praktisch keine.

»Nervöse Leute müssen auch viel vorlesen«, sagt denn auch Akstinat, den Stapel mit Stichwortzetteln fest umklammernd, nachdem er zusammen mit Kleifges auf dem Sofa Platz genommen hat. Erster Gast ist Mo Büttner. Kein Promi, sondern jemand, der schon mit seinen 25 Jahren eine interessante Lebensgeschichte vorzuweisen hat. Mit 17 Jahren verpflichtete sich der aus einem Dorf nahe Brandenburg an der Havel stammende Büttner »damals noch mit einer anderen Einstellung« zu sieben Jahren Wehrdienst. »Ich dachte beim Bund kriege ich deutsche Tugenden«, sagt er. In der rechten Szene sei er damals unterwegs gewesen, bis er schließlich in einer bayerischen Kaserne einen Oiskin kennenlernte, der ihm eine andere Welt zeigte. Irgendwann musste er schließlich nach Afghanistan. Längst hatte er andere Ideale, hatte schließlich einen Zusammenbruch. »Heute bin ich Veganer und der offenste Mensch.« Auf einer Leinwand zeigen Fotos seine Entwicklung vom akkurat frisierten Teenager zum heutigen Wuschelkopf. Niemand ruft dazwischen, die Besucher sind einfach fasziniert von der Lebensgeschichte mit dem guten Ausgang.

Prominentester Gast ist das Erotikmodel Micaela Schäfer. Sie spricht über ihre Schönheits-OPs (»Ich hatte ein sehr schlimmes Profil.«), über ihre Ausbildung zur Apothekenhelferin (»Ich gehe gern in Apotheken, fühle mich da sehr wohl.«) und schlimme Bezirke (»Hellersdorf!«). Aufschlussreich ist ihr Lieblingsrestaurant, eine eher seelenlose Touristenabfütter- und Billigcocktailversorgungsstation in der Nähe der Simon-Dach-Straße. Immerhin geerdet ist sie und sie wirkt sympathisch. Das Publikum will noch einige weitere Dinge wissen. Das gehört zum Konzept. Die Musiker von »Smith & Smart«, zeigen, dass wortgewandte Gäste die beiden unerfahrenen Moderatoren durchaus an die Wand reden können. Sie machen das allerdings sehr charmant.

»Uns war es wichtig, dass die Gästemischung möglichst bunt ist. Im Prinzip könnte man auf die Warschauer Brücke gehen, und dort Leute finden, die etwas Interessantes erzählen können«, sagt Kleifges. Die Premiere ist jedenfalls gelungen.

Die nächste Kieztalkshow findet am 13. Januar in Prenzlauer Berg, dann mit Gästen von dort, statt. Friedrichshain ist wieder am 27. Januar an der Reihe, angekündigt ist unter anderem Hans Modrow.

www.facebook.com/kiezsofa

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.