Elektroschocker für alle Berliner Polizisten?

Innensenator will über Spezialeinheiten hinaus Beamte mit umstrittenen Tasern ausrüsten

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.
Aus Sicht des Berliner CDU-Innensenators Frank Henkel sollen Distanz-Elektroimpulsgeräte (Taser) künftig zur Standardausrüstung von Polizisten zählen – der Koalitionspartner von der SPD, die Opposition sowie Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International lehnen das ab.

Als vor kurzem ein Ausbilder des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei den Mitgliedern des Innenausschusses beim Besuch der Landespolizeischule die X-26-Taserpistole vorführte, hatten die Abgeordneten danach viele Fragen. Denn die sogenannten Taser sind auch unter den Landesparlamentariern stark umstritten. Sind sie lediglich ein »mildes Mittel«, das den Einsatz von Schusswaffen weiter verringern würde, oder handelt es sich um eine gefährliche Waffe mit möglichen tödlichen Nebenfolgen, die nicht in die Hände von mangelhaft ausgebildeten Polizisten gehört? Diese Debatte muss in Berlin geführt werden. Nach den drei tödlichen Polizeieinsätzen am Neptunbrunnen in Mitte (2013), in Wedding (2012) und in Reinickendorf (2011) würde die CDU jetzt am liebsten auch Streifenpolizisten in Berlin mit den im amtsdeutsch »Distanz-Elektroimpulsgeräte« genannten Waffen ausrüsten. Seit 2001 ist dies bisher lediglich den Elitepolizisten des SEK vorbehalten.

Aus Sicht von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) haben sich die Taser seit 2001 bewährt. »Das Distanz-Elektroimpulsgerät ist als geeignetes und mittlerweile bewährtes Einsatzmittel anzusehen, das die Bandbreite der Optionen bei Polizeieinsätzen sinnvoll und zweckmäßig erweitert«, erklärte Henkel in der vergangenen Abgeordnetenhaussitzung. In zehn Fällen konnte ein Suizid durch den Einsatz eines Tasers erfolgreich verhindert werden, so der Innensenator. An seiner »gesamt positiven Einschätzung« ändert auch die Einsatzbilanz insgesamt nichts: Demnach gab es bei 18 Einsätzen durch das SEK seit 2001 sieben Mal Probleme – Gründe hierfür waren technische Defekte der Waffe, Fehlschüsse aber auch in einem Fall eine zu dicke Kleidung der Zielpersonen. Diese verhinderte das Millimeter tiefe Eindringen der zwei durch die Waffe verschossenen Pfeile, mit der für einige Sekunden bis zu 50 000 Volt starke Elektroimpulse zur kurzzeitigen Lähmung der Muskeln verpasst werden.

Trotz der hohen Misserfolgsquote prüft Henkels Innenbehörde derzeit, ob und wie gegebenenfalls eine Ausweitung der Einsätze der Taserwaffen außerhalb der Spezialeinsatzkommandos möglich ist. Wann die Prüfung abgeschlossen ist, konnte die Innenverwaltung auf nd-Nachfrage nicht mitteilen.

Fakt ist allerdings auch, dass die CDU und ihr Innensenator den Taser für alle Polizisten nicht im Alleingang einführen können. Dazu bräuchte die Union eine politische und eine gesellschaftliche Mehrheit. Die gibt es derzeit eher nicht. Insbesondere Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International sehen den Einsatz von Tasern sehr kritisch, weil damit zu große Risiken verbunden sind. »Wir beobachten das in den Vereinigten Staaten und Großbritannien«, sagt Alexander Bosch, Sprecher der Gruppe Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International (AI). Allein in den USA wurden laut dem aktuellen Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation 540 Menschen durch die polizeilichen Schockwaffen seit 2001 getötet. Zwar machten die Amtsärzte oft gesundheitliche Probleme für deren Tod verantwortlich, doch in mehr als 60 Fällen hieß es laut Amnesty International, dass der Taser der »ausschlaggebende Faktor« gewesen sei oder zum Tod beigetragen habe. »Eine Einführung von Tasern über Spezialeinsatzkräfte hinaus bei der Polizei befürworten wir nicht, da die Beamten, die mit dieser Distanzwaffe umgehen müssen, sehr gut ausgebildet sein müssen«, betont AI-Sprecher Bosch. Ob das bei »normalen Streifenpolizisten« der Fall sei, wagt die Menschenrechtsorganisation zu bezweifeln.

Gewisse Bedenken bezüglich des Ausbildungsgrades der Berliner Beamten hegt unterdessen auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP). »Es ist nicht einfach für Polizisten neben Schusswaffe, Pfefferspray und Handschellen noch einen weiteren Ausrüstungsgegenstand am Gürtel schleppen zu müssen«, sagt die Sprecherin des Landesverbandes der GdP, Silvia Brinkhus. Die Einführung des Tasers würde aus Sicht der Gewerkschaft auch eine ganze Reihe von Fragen zur praktischen Durchführbarkeit mit sich bringen: »Wie sollen die Kollegen dann praktisch aus- und fortgebildet werden?« Schließlich gebe es bereits heute konzeptionelle Engpässe, die neuen jungen Polizisten adäquat auszubilden.

Problematisch ist auch die rechtliche Stellung. »Bei uns gilt der Taser als Schusswaffe«, erläutert Polizeisprecher Stefan Redlich gegenüber »nd«. Das heißt, die Elektroschocker dürfen nur eingesetzt werden, wenn das Gesetz auch den Einsatz von Schusswaffen erlaubt. In anderen Bundesländern gelten Taser-Waffen dagegen als »Hilfsmittel«, die wie Schlagstöcke oder Knüppel von den Polizisten eingesetzt werden dürfen.
Ein Zustand, den die CDU zu gerne auch in Berlin herstellen würde.

Doch gegen die Pläne zur Ausweitung regt sich auch parlamentarischer Widerstand. »In den drei Fällen, Neptunbrunnen, Wedding und Reinickendorf, über die behauptet wird, dass Taser was gebracht hätten, wäre es angesagt gewesen, das Spezialeinsatzkommando zu rufen«, sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux. Aus Sicht der Grünen-Opposition reicht es deshalb, wenn das SEK mit Taser-Waffen ausgerüstet ist. Auch die LINKE hat »große Vorbehalte« und will für die Neuanschaffung von Elektroschockern kein Geld verschwenden. »Das ist auf jeden Fall eine Waffe, mit der man Menschen schwere Verletzungen zufügen kann«, erklärt Hakan Taş, der Innenexperte der Linkspartei. Ähnlich kritisch äußern sich die Piraten. Deren innenpolitischer Sprecher Christopher Lauer sieht gegenüber »nd« gar ein »PR-Desaster« aufziehen, »wenn die Polizei anfangen sollte, laufend Leute zu tasern. Und dann wie in den USA auch Leute sterben würden.«

Indes: Nicht nur die Opposition hat ein Problem mit den Bewaffnungsplänen von CDU-Innensenator Henkel. Bauschschmerzen gibt es vielmehr auch beim sozialdemokratischen Koalitionspartner. Zwar meldete eine Zeitung kürzlich, der Widerstand innerhalb der Sozialdemokraten gegen Taser für alle Polizisten würde bröckeln. Für den innenpolitischen Sprecher der SPD, Frank Zimmermann, handelte es sich dabei jedoch um eine »Zeitungsente«. Richtig sei, so Zimmermann, dass sich der Arbeitskreis Inneres der SPD vor kurzem vom ehemaligen SEK-Leiter und Taser-Befürworter Martin Textor dessen Erfahrungen mit der Waffe habe schildern lassen. Auch rechtliche Fragen haben die Koalitionäre inzwischen geprüft. »Einer Ausweitung der Einsätze von Tasern über das SEK hinaus steht die SPD-Fraktion dennoch weiter äußerst skeptisch gegenüber«, sagt Zimmermann. Und: »Die Zustimmung der SPD-Fraktion dazu ist eher unwahrscheinlich.«

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