Mit dem Rotstift durch Hessens Landesverfassung
Künftige schwarz-grüne Koalition will fortschrittliche Bestimmungen als »nicht mehr zeitgemäß« entfernen
Die Bildung eines schwarz-grünen Kabinetts in Hessen rückt näher. Am Dienstag berichteten die Unterhändler Peter Beuth (CDU) und Kai Klose (Grüne) über den Zwischenstand der Koalitionsverhandlungen, bei denen die Runde der Landesspitzen beider Parteien am Vorabend in mehreren Punkten Übereinstimmung erzielt hatte. So werde es bei den bisherigen Gerichtsstandorten bleiben, versicherte Beuth. Aktuelle Meldungen der Regionalpresse über einen bevorstehenden Abbau von 3000 Lehrerstellen in der kommenden Legislaturperiode wollten Beuth und Klose weder bestätigen noch dementieren. Dies sei nicht Gegenstand der nächtlichen Verhandlungen gewesen, so Klose.
Damit sehen sich Kritiker in der Befürchtung bestätigt, dass es unter Schwarz-Grün zu einem massivem Personalabbau in Bildungswesen und Landesverwaltung kommen könnte. CDU und Grüne hatten in den zurückliegenden Sondierungen immer wieder den Abbau eines strukturellen Defizits in Höhe von 1,5 Milliarden Euro in den Mittelpunkt gerückt. Eine im künftigen Wiesbadener Landtag rechnerisch mögliche rot-grün-rote Mehrheit war nicht zuletzt auch an dieser Frage gescheitert, nachdem die LINKE sich strikt gegen Kürzungen und einen Stellenabbau im Bildungsbereich ausgesprochen hatte. Auf massive Stellenkürzungen in Landesdiensten deutet auch die Zielsetzung von CDU und Grünen hin, in Hessen Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in den Verfassungsrang zu heben. »Das hohe Lied des Ehrenamts ist auch eine Methode, sich aus der Verantwortung zu stehlen«, meint Janine Wissler (LINKE).
Darüber hinaus streben die künftigen Koalitionäre weitergehende Änderungen der hessischen Landesverfassung an. Bei dieser »Überarbeitung« und »Modernisierung« möchte die CDU offensichtlich an ihre bereits 2005 mit Unterstützung von FDP und Grünen verfolgte und damals wieder auf Eis gelegte Absicht anknüpfen, fortschrittliche Inhalte aus der Landesverfassung zu entfernen, weil sie aus ihrer Sicht »nicht mehr zeitgemäß« seien. Dabei geht es um Bestimmungen wie die zur Sozialisierung bei Missbrauch wirtschaftlicher Macht oder auch um Zielsetzungen wie einheitliches Arbeitsrecht und einheitliche Sozialversicherung für Angestellte, Arbeiter und Beamte. 1946 hatten SPD, CDU und KPD gegen die Stimmen der FDP diese konkreten Inhalte in der Landesverfassung verankert. Weitere sind der Vorrang von Tarifverträgen vor Betriebsvereinbarungen, existenzsichernde Löhne und ein gebührenfreies staatliches Bildungswesen. Das Ziel einer Sozialisierung von Schwerindustrie, Bergbau und Eisenbahnen sowie einer staatlichen Aufsicht und Verwaltung der Großbanken und Versicherungsunternehmen hatten damals in einem separaten Wahlgang 71,9 Prozent der Bevölkerung unterstützt.
Weil bei Verfassungsänderungen in Hessen nach wie vor das Wahlvolk per Volksabstimmung das letzte Wort hat, setzt die Hessen-CDU nun auf die Einbindung von Vertretern der »Zivilgesellschaft« in einen offensichtlich von oben ernannten »Verfassungskonvent«. Als Bonbon für das grüne und liberale Spektrum dienen dabei Pläne zur Stärkung der Resozialisierung im Strafvollzug und Absenkung der Quoren für Bürgerentscheide.
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