Kein Spiel mehr
PC-Games und Konsolen machen viele Kinder abhängig
»Ich wusste nicht, wie man essen kann, deshalb bin ich immer gestorben.« Mit diesen scheinbar absurden Worten erzählt ein Elfjähriger vom Computerspiel MineCraft. Da geht es um Höhlen, Strandhäuser, Diamantäxte und Kürbisse, die erspielt werden müssen. Aus einem Spiel, das zunächst ganz harmlos erscheint, wird immer öfter eine gefährliche Sucht.
Kinder aus der Klasse 6a der Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule aus Berlin-Adlershof befragten 132 Mitschüler zu ihrem Spielverhalten. Danach hatten 118 einen PC oder eine Spielkonsole zu Hause, das sind 90 Prozent. 63 Prozent der Befragten besaßen mehr als zehn Computerspiele, 48 Prozent spielten »gern« Spiele, in denen Gewalt vorkommt. 53 Prozent spielten gern online. Die Elf- und Zwölfjährigen nehmen aber auch die Veränderungen wahr, die zu ausgiebiges Spielen mit sich bringt: »Man wird immer dümmer«, heißt es da ziemlich deutlich, das Verhalten werde aggressiver. In extremen Fällen geraten Freunde, die Schule und andere Pflichten in Vergessenheit.
Oliver Bilke-Hentsch, Kinderpsychiater im Schweizer Winterthur, einer der Moderatoren der Veranstaltung, erklärt, warum gerade Online-Spiele in die Abhängigkeit führen: Sie sind zumindest anfangs kostenlos, ohne Altersbeschränkung und jederzeit zugänglich. Zu den zwiespältigen Vorteilen gehört, dass sich virtuelle Freunde viel schneller als in der Realität gewinnen lassen. »Man bekommt ganz viel Belohnung, auch für das, was sonst Ärger bedeutet, darunter aggressives Verhalten.« Kritisch wird es für jene fünf bis zehn Prozent der Spieler, die mehr als drei Stunden am Tag vor PC oder Konsole verbringen.
Wiederholungszwang, Entzugserscheinungen, Kontrollverlust, Selbstaufgabe, Verlust sozialer Kontakte und Dosissteigerung - für die Weltgesundheitsorganisation WHO sind dies Kriterien einer Abhängigkeit. Zwar ist Computerspielsucht bislang in Deutschland keine anerkannte Krankheit, Behandlungsmöglichkeiten gibt es dennoch. Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen im Kinder- und Jugendalter in Hamburg-Eppendorf behandelt jährlich 1300 junge Patienten, 300 von ihnen haben ein Problem mit Computerspielen. In der Bundesrepublik bilden etwa 250 000 Nutzer zwischen 14 und 24 Jahren die größte Gruppe der geschätzt 560 000 Internetsüchtigen.
Wie Schülervorträge und Spielszenen auf dem Berliner Kongress der Experten zeigten, sind die Ko-Abhängigen ein Teil des Problems: »Die Freunde machen keinen Stress, sie machen mit. Eltern wissen nicht, was im Kinderzimmer passiert, verharmlosen es auch, weil das Kind zu Hause ja vermeintlich sicher ist.« Hilfe gäbe es bei Kontaktlehrern an der Schule, in Beratungsstellen oder Spezialambulanzen. Ein Hinweis des Psychiaters Bilke-Hentsch gilt auch älteren Zockern: »Die Hersteller haben die Spiele so programmieren lassen, dass man immer weiter machen will.« Dahinter stünden Spezialisten und Psychologen.» Die kennen die Mechanismen, die das Gehirn mit seinen Lern- und Belohnungsfunktionen stimulieren und manipulieren.
Gefährdet sind laut Thomasius vor allem Jungen, die schon bei der Einschulung am Rand ihrer Klassen stehen und wenig Anerkennung bekommen. Soziale Probleme spielen unter den Ursachen für eine solche Suchtkarriere eine wichtige Rolle, aber auch psychische Vorerkrankungen wie das Aufmerksamkeitsdefizit oder Depressionen können einen Beitrag leisten.
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