Die Tränen der Krokodile
Jürgen Reents über Geschichtsvergessenheit und den Umgang der BRD mit der Apartheid
Die Bundeskanzlerin hat Nelson Mandela als »Vater einer endlich freien Nation« und »Gigant der Geschichte« gewürdigt. In ihren Worten liegt ehrliches Mittrauern über seinen Tod. Angela Merkel wuchs in einem Land auf, in dem die Ächtung des früheren Apartheid-Regimes, die Solidarität mit seinen Opfern und Gegnern keine leere Formel war. Nun aber regiert sie einen Staat und eine Partei, in denen bis fast 1990 anderes galt. Diese Geschichte mit zu schultern, ist keine persönliche Pflicht – und wäre doch ein Gebot ihrer jetzigen Ämter. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende hat es unterlassen.
Konzerne und Politiker der Bundesrepublik waren eifrige Förderer und Partner des bis 1994 amtierenden Apartheid-Regimes: Westdeutschland bezog Uran aus Südafrika, lieferte im Gegenzug Technologien für Pretorias Basteln an einer Atombombe. Die Bundeswehr bildete südafrikanische Offiziere aus, verschaffte ihnen sogar Zugang zu geheimen NATO-Unterlagen. Daimler-Benz half den Rassisten beim Bau von Panzermotoren; bei anderen Militärprojekten kooperierten und verdienten AEG-Telefunken, Blohm & Voss, Klöckner, Krupp , Rheinmetall, Siemens, STEAG, Thyssen...
1983 antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen: Eine »verwertbare Statistik« zu Waffenexporten an Südafrika sei »nicht verfügbar«. Das Blut von Steve Biko, der aufständischen Schüler in Soweto und zahlloser anderer Opfer der Apartheid klebte dick in bundesdeutschen Bilanzen. Manches geschah auch gegen geltende Richtlinien. Dazu sagte der ANC-Vertreter Pallo Jordan einst treffend: »Das Kind mag unehelich sein, aber die Vaterschaft ist unbestritten.« Zu dieser gehörte eine Reisenotiz von zwei CDU-Abgeordneten 1971: »Auf Jahrzehnte, wohl Generationen, gibt es zur derzeitigen Politik der Apartheid ... kaum eine Alternative, es sei denn das Chaos.« Ihr Geschäftsführer empfahl den Report seiner Fraktion zur Aufmerksamkeit.
Die »Welt« schrieb jetzt in ihrer Online-Ausgabe, Mandela habe sein Land »zusammengeführt wie es niemand vor oder nach ihm vermochte«. Das textete man bei Springer früher anders. Als Heiner Geißler, einer von wenigen, argwöhnisch beäugten Apartheid-Gegnern in der CDU, Mandelas »bedingungslose Freilassung« forderte, las man in jener Zeitung: »Das Wort ›bedingungslos‹ geht genau einen Schritt zu weit.« Wir schrieben bereits das Jahr 1988, Mandela war fast 70 und saß inzwischen 26 Jahre im Gefängnis. Die deutschen Konservativen sahen ihn immer noch zu Recht inhaftiert, weil er – 1960 nach dem Massaker von Sharpeville – den bewaffneten Kampf gegen die Rassisten bejaht hatte.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.