CDU-Graphologen suchten Handschrift
Kleiner Parteitag stimmte nach heftiger Debatte dem Koalitionsvertrag mit der SPD zu
Wenn CDU oder CSU politische Entscheidungen treffen, erfolgt dies gewöhnlich nach dem Muster des demokratischen Zentralismus, auch wenn diese Parteien natürlich den Begriff niemals verwenden würden. Eine klare Arbeitsteilung trennen hierbei Oben und Unten: Entscheidungen von oben erhalten unten begeisterte Zustimmung. Das Ganze geht schnell und birgt keine unnötigen Risiken. So hatten auch alle erwartet, dass der sogenannte Bundesausschuss (Kleiner Parteitag) der CDU, der am Montag in Berlin dem Koalitionsvertrag von Union und SPD für die nächsten vier Jahre im Bund seinen Segen geben sollte, schnell vorüber sein würde. Doch es kam anders. Beinahe kämpferisch traten die von Angela Merkel freundlich begrüßten »Freundinnen und Freunde« der CDU auf, die Freundinnen klar in der Minderheit. Sie boten das Bild einer flotten und wachen Veranstaltung und bisweilen der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin gar die Stirn. Der ihnen zur Abstimmung vorgelegte Koalitionsvertrag, der doch nichts als ihren Segen brauchte, fand heftige Kritik und offenkundig wenig Freunde. Der SPD neidete man ihren angeblichen Verhandlungserfolg, eigene Positionen sah man stiefmütterlich behandelt. Und das Optimistischste brachte zunächst noch Dieter Bischoff, Chef der Mittelstandsvereinigung der CDU, zum Ausdruck, indem er gemäß dem »rheinischen Grundgesetz« orakelte: »Es is noch immer jut jejangen.«
Als halb drei am Nachmittag noch neun Render auf der Liste standen, stöhnte Generalsekretär Hermann Gröhe schon leise. Dabei hatte einer der Hauptkritiker der Koalitionsvereinbarungen, Jens Spahn, soeben die demografisch wichtige Information gegeben, dass die Menschen in Deutschland täglich eine um fünf Stunden zunehmende Lebenserwartung verbuchten. Die fünf Stunden dieses Konvents, so Gröhe erleichtert, kriege man also am Ende zurück. Spahn hatte allerdings in seine anschaulichen Sätze harsche Kritik gebettet, sprach von schmerzhaften Kompromissen und dass die Union in der Koalition erkennbar bleiben müsse. In einem Manifest hatten zuvor schon 54 Abgeordnete der CDU die von Spahn vorgebrachten Auffassungen öffentlich gemacht und damit bereits vor dem Parteitag ein wenig gezündelt. Nun legten sie nach. Doch gerieten sie mit ihrer Kritik unversehens ins Hintertreffen, wurden von anderen, noch schärferen Kritikern glatt in den Schatten gestellt. Während sich Spahn und seine Unterstützer vor allem an den Rentenabsprachen rieben und ein wenig der verpassten Chance einer schwarz-grünen Koalition nachtrauerten, kamen andere Redner immer wieder auf die Vereinbarungen zum Mindestlohn oder zur Energiewende zu sprechen, die sie offenbar als kaum erträglich empfanden.
Christian Wagner, hessischer Fraktionschef, wollte nur Verhandlungserfolge der SPD erkennen: Lebensleistungsrente, Mindestlohn, doppelte Staatsbürgerschaft. Und Reinhard Göhner von der Bundesvereinigung Arbeitgeberverbände nannte die Korrekturen an der Energiewende unzureichend. Ohne jede Zurückhaltung forderte er die Bundeskanzlerin auf, die nötigen gesetzlichen »Ausgestaltungen« des Vertrags vorzunehmen und auch beim Mindestlohn weitere als bisher vorgesehene Ausnahmen festzulegen.
Angela Merkel hatte wohl schon geahnt, was ihr blühen würde. In ihre Eingangsrede gab sich die Kanzlerin alle Mühe, Bedenken und Zweifel bereits vorbeugend zu zerstreuen. Man habe »extrem hart gekämpft« und sich gegenüber der SPD durchgesetzt mit den Kernanliegen der Union, keine Steuererhöhungen zuzulassen und Arbeitsplätze zu schützen. Und Bundesumweltminister Peter Altmaier sah sich im Verlauf der Debatte genötigt, eine Lanze für die Vereinbarungen zur Energiewende zu brechen. Regina Görner, Mitglied im CDU-Vorstand, fragte Reinhard Göhner empört, für wie dumm er eigentlich die Jugendlichen halte, wenn er meine, dass ein Mindestlohn von 850 Euro sie von einer dualen Ausbildung abhalten könnte.
Hart umstritten war auch die Mütterrente, die die Union durchsetzte, die aber weiter prinzipielle Kritiker in der CDU hat. Emotional verteidigten Maria Böhmer und weitere Vertreterinnen der Frauen-Union das Ergebnis. Die Mütterrente trenne nicht die Generationen, sie vereine sie und sei ein Grund, dem Koalitionsvertrag begeistert zuzustimmen, wie Böhmer meinte. So kam es schließlich auch. Irgendwann kehrte der demokratische Zentralismus zurück. Mit keiner einzigen Nein-Stimme gab der Parteitag dem Vertrag seinen Segen.
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