Ohne Risiko im Finanzkasino
Das Land Brandenburg nutzt Derivate, um sich gegen steigende Zinsen zu wappnen
»Das Volumen der Derivatgeschäfte erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr um sechs Milliarden Euro auf 20,5 Milliarden Euro«, meldet der Landdesrechnungshof. Der Satz, der sich auf das Jahr 2011 bezieht, steht im gerade vorgelegten Jahresbericht 2013. Derivate? Bei diesem Wort schrillen die Alarmglocken. Denn Derivate gelten als Auslöser für Spekulationsblasen und die weltweite Finanzkrise 2008.
Zur Erinnerung: Die LINKE im Bundestag betont, dass Instrumente des Finanzmarkes wie zum Beispiel Derivate, die mit der ursprünglichen Risikoabsicherung nichts mehr zu tun haben, nur der Spekulation im globalen Finanzkasino dienen. »Sie sind überflüssig und gehören verboten.« Ebenfalls zur Erinnerung: Brandenburgischer Finanzminister ist seit November 2009 Helmut Markov (LINKE).
Ausgerechnet der CDU-Landtagsabgeordnete Ludwig Burkardt muss ermahnen, Vorsicht bei den umstrittenen Derivatgeschäften walten zu lassen. »Mit Sorge erfüllt mich, dass das Volumen der 2011 abgeschlossenen Derivate bereits das Doppelte des gesamten Landeshaushalts 2011 erreicht hat, nämlich 20,5 Milliarden Euro«, reagierte Burkardt auf den Rechnungshofbericht. Schwerer noch wiege, dass die Summe der Derivate die Kredite des Landes übersteige, denn Brandenburg steht nur mit 17,9 Milliarden Euro in der Kreide.
Nach Rechnung des CDU-Politikers hängen damit Geschäfte im Wert von 2,6 Milliarden Euro in der Luft. Die Einschätzung ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Es erhärtet sich der Verdacht, das Finanzministerium spekuliere fernab von eigenen Verbindlichkeiten auf steigende oder fallende Zinsen fremder Werte. Burkardt sagte: »Das erneuert meine Zweifel, dass der Finanzminister wirklich die Finger vom Glücksspiel mit brandenburgischen Steuergeldern lässt. Hier scheint eher jemandem der Spieltrieb durchgegangen zu sein.«
Dazu würde passen, dass die Linksfraktion im Landtag bei ähnlichen Vorwürfen in der Vergangenheit erschreckend unbekümmert abwinkte. In der Zeit, als die CDU von 1999 bis 2009 mitregierte, habe sie nichts dagegen gehabt, wenn das Land mit Finanzgeschäften Einnahmen erzielte. Nun wolle sie den Sozialisten diese Möglichkeit nehmen, lautete eine flapsige Bemerkung.
Das freilich ist eine billige Ausrede. Erstens stellte die SPD die Finanzminister, bevor Helmuth Markov ans Ruder kam, und nicht die CDU. Zweitens wird ein unmoralisches und unseriöses Geldgeschäft nicht dadurch saubergespült und für Sozialisten tauglich, dass die CDU es einstmals toleriert hat. Auch beleidigte Äußerungen, die CDU wolle nur die erfolgreiche Arbeit des Finanzministers madig machen, ließen sich lediglich als Ablenkungsmanöver verbuchen. Entscheidend ist doch die Frage: Spekuliert die LINKE heimlich, obwohl sie öffentlich Enthaltsamkeit predigt? Eine befriedigende Antwort darauf gab es bislang nicht. Denn die Zusicherung allein, man spekuliere keineswegs, reicht nicht aus. Es müssen die Fakten auf den Tisch.
Hilfreich sind da jetzt aber Erklärungen von Markovs Sprecher Thomas Vieweg. Allen Derivaten liegen sehr wohl Kredite zugrunde, sagte er. Umgeschuldet werde ständig. Kredite laufen aus, neue Kredite müssen aufgenommen werden. Dabei habe man 2011 die günstigen Zinsen nutzen wollen und Optionen gekauft, um auch das Zinsrisiko bei Umschuldungen in späteren Jahren abzusichern.
Um das zu verstehen, muss man wissen, was Derivate sind, wozu sie eigentlich dienen und wofür sie im Kasinokapitalismus missbraucht werden. Der Begriff Derivat bezieht sich auf das lateinische Verb derivare, zu deutsch: ableiten. Bei einem Derivat wird ein bestehendes finanzielles Risiko ganz oder teilweise abgegeben. Das wird vertraglich geregelt. Bezug genommen wird dabei auf eine mögliche Wertveränderung beispielsweise von Aktien, Anleihen, Rohstoffen, Waren oder Devisen und auch auf steigende oder fallende Zinsen. Es gibt verschiedene Modelle. Klassisch wäre folgender Fall: Ein Getreibehändler verpflichtet sich bereits im Winter, dem Bauern die kommende Ernte für eine vorher festgelegte Summe abzunehmen. Sinkt der Getreidepreis bis dahin, hat der Händler das Nachsehen, steigt der Preis, hat der Bauer Pech. Derivate können an Börsen gehandelt werden. Spekulanten übernehmen ein Risiko in der Hoffnung, einen Gewinn zu erzielen.
Der Derivatehandel birgt die Gefahr, dass die versprochenen Zahlungen weit über dem tatsächlichen Wert einer Ware liegen, so geschehen 1636 bei der Großen Tulpenmanie in Holland. Damals hatten Händler für Knollen, die noch in der Erde steckten, immer höhere und zuletzt exorbitante Summen geboten, ohne mit Sicherheit zu wissen, ob die Tulpen blühen werden, wirklich schön sind und einen Preis erzielen, der die gebotenen Summen deckt. So entsteht eine Finanzblase, die früher oder später platzt. Derivate sind aber nicht nur Teufelszeug. Sie haben - richtig eingesetzt - auch einen vernünftigen Sinn. So erlauben sie es, dass Zinsrisiko bei Krediten zu senken. Sie wirken dann wie eine Versicherung. Ein Kredit läuft ja in der Regel über Jahre, manchmal sogar über Jahrzehnte. In dieser Zeitspanne ändern sich selbstversständlich die Zinssätze. Ein Land wie Brandenburg kann Kredite mit veränderlichen Zinssätzen aufnehmen, wenn die Zinsen gerade niedrig sind. Es muss jedoch damit rechnen, dass die Zinsen steigen, vielleicht sogar weit über den Wert, der fällig gewesen wäre, wenn das Land mit der Bank Festzinsen vereinbart hätte. Durch ein Derivat sichert sich das Land dann aber die Möglichkeit, in einem solchen Fall während eines laufenden Kredits von den variablen Zinsen zu einem Festzins zu wechseln. Natürlich kostet es etwas, sich eine solche Option offen zu halten. Es dient aber dem Zweck, besser kalkulieren zu können. Das Risiko wird zur Bank verschoben. Sie ist es, die in diesem Fall spekuliert, nicht der Staat.
So soll es in Brandenburg gelaufen sein und gegenwärtig noch laufen. Finanzfachleute sehen darin kein Problem. Im Gegenteil! Nach ihrer Ansicht wäre es sogar unverantwortlich, nicht so zu verfahren. Eine solche Einschätzung teilen auch linke Finanzexperten.
Der CDU-Abgeordnete Burkardt findet, es müsse »endlich mehr Transparent und Kontrolle in die Zinsderivatgeschäfte des Landes gebracht werden«. Denn »je größer das Volumen dieser bekanntermaßen riskanten Geschäfte wird, umso drängender stellt sich die Frage, ob das Land alles Notwendige zur Risikoabsicherung tut.« Der Finanzminister habe sich der Einrichtung einer unabhängigen Kontrolle verweigert.
Sprecher Vieweg beruhigte, dass Volumen der Derivatgeschäfte habe mittlerweile wieder abgenommen. Denn Optionen auch für künftige Kreditgeschäfte seien ja bereits 2011 gesichert worden.
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