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Der Epochenwechsel
Erst wenige Wochen ist es her, da bekam an dieser Stelle der Schönschreiber Daniel Kehlmann tüchtig eins über’n Latz, wegen Arschgerede in Sachen Snowden-Asyl. Doch da diese Kolumne zum Verdruss des Verfassers noch immer zu wenig gelesen wird, hat es die Öffentlichkeit nicht recht mitbekommen, und zahllose Trittbrettfahrer brummen Kehlmann seither sturheil hinterher.
Zuletzt Iris Radisch, die sich in der Illustrierten »Die Zeit« regelmäßig über Bücher auslässt. Der Aufruf jener knapp 600 Schriftsteller für ein Ende des Überwachungsstaats ist für sie nicht die übliche Dabeiseierei nimmermüd engagierter Betriebsnudeln, sondern, weil sie ihre Lügen halt faustdick braucht, um sie glauben zu können, nichts weniger als ein »Epochenwechsel« - der engagierte Intellektuelle, zuvor totgesagt, sei nun zurück, die Autoren hörten auf, sich nur mehr für nationale Probleme zu interessieren, sondern formierten sich wie ehedem als global agierende Schriftstellergemeinschaft, außerdem werde nun überhaupt alles gut, großes Feuilletonistenehrenwort.
Man soll älteren Herrschaften Momente jugendlicher Euphorie gönnen, wo es geht, aber hier geht es eben nicht, der Käse riecht halt doch zu streng. Nicht nur dürfte praktisch jede Einzelbehauptung der Radisch falsch sein - intervenieren nicht beispielsweise in ihrer eigenen »Zeit« seit Jahren internationale Feingeister zu praktisch jedem Thema auch nur mittlerer Relevanz? -; selbst, wenn sie stimmten, wäre das ja immer noch kein Epochenwechsel, sondern bloß ein Wiederanknüpfen an gar nicht allzu lang vergangene Zeiten. Aber ähnlich wie Politjournalisten, die sich über langweilige Wahlkämpfe und Führer ohne Vision mokieren (als wären die Zeiten visionärer Führer historisch nicht außergewöhnlich unangenehme), müssen Feuilletonisten immerfort das Ende der Postmoderne herbeisehnen.
Die wird aber sicher nicht dadurch überwunden, dass ein Haufen Opportunisten, noch dazu aus den unterschiedlichsten Motiven und mit haarsträubend zusammengereimten Begründungen, sich zu großherzigen Paten eines ohnehin von der Weltöffentlichkeit geliebten Renegaten stilisiert; noch weniger dadurch, dass besagter Betriebsnudelauflauf von den Grünen ins Parlament eingebracht wird. Sie endet genau da, wo Iris Radisch epochale Witze zu machen beginnt: »Deutschland schien nur noch eine einzige Pflanzenart des intellektuellen Widerstandes zu kennen. Und dieses Grass (sic!) hatte man schon lange genug wachsen gehört.« Wer von solchen Sätzen verschont bleiben will, muss wohl warten, bis er sich die Radisch(en) (sic!) von unten ansehen kann.
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