»Racial Profiling machen wir nicht«

Polizeipräsident Klaus Kandt zur Zukunft der Polizei in einer sich wandelnden Metropole

  • Lesedauer: 7 Min.
Klaus Kandt ist seit fast einem Jahr Polizeipräsident von Berlin. Zuvor war der ehemalige GSG9-Beamte und Elitepolizist Polizeichef von Frankfurt (Oder) und Potsdam. Über die Zukunft der Berliner Polizei mit ihren über 20 000 Mitarbeitern in einer zusehends multiethnischen Metropole sowie aktuelle Themen sprach mit dem 53-Jährigen nd-Redakteur Martin Kröger.

nd: Als Sie Präsident der größten Polizeibehörde Deutschlands in Berlin wurden, war der Empfang nicht immer herzlich. Wie ist das erste Jahr im Amt verlaufen?
Klaus Kandt: Mein Fazit fällt positiv aus: Es hat keine großen Pannen gegeben und die großen Fettnäpfchen habe ich ausgelassen. Außerdem sind viele Einsätze - nicht nur der zum 1. Mai - gut gelungen. Dabei war die Situation zu Beginn nicht einfach, weil es viele kleine Baustellen gab. Außerdem musste ich mich daran gewöhnen, wie plakativ es in Berlin manchmal zur Sache geht.

Waren Sie als Polizeipräsident von Frankfurt (Oder) oder Potsdam eine andere politische Kultur gewohnt?
Hier in Berlin wurde Kritik schnell recht scharf geäußert. Zudem hatte ich nicht immer den Eindruck, dass man eine sachliche Debatte sucht. Dennoch ist es uns gelungen, die politischen und die polizeilichen Diskussionen zu trennen.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Nehmen Sie die Proteste der hungerstreikenden Flüchtlinge am Brandenburger Tor. Da hat die Polizei das Versammlungsrecht geschützt und garantiert, das kein illegales Feldlager entsteht. Außerdem haben wir geschaut, dass es beim Hungerstreik nicht zu bedrohlichen Situationen gekommen ist. Manche haben gemeint, die Polizei räumt. Wir haben aber das Versammlungsrecht geschützt, so dass alles ordentlich durchgeführt werden konnte. Daneben gab es Raum für die politische Diskussion zum Asylrecht.

Der Kampf der Flüchtlinge ist noch nicht zu Ende. Auf dem Oranienplatz in Kreuzberg in ihrem Camp harren einige weiter aus. Für Januar hat Innensenator Frank Henkel (CDU) eine Räumung angedroht. Wird die Polizei da nicht doch mit in die Politik reingezogen?
Wir sind politisch neutral. Wenn wir räumen, räumen wir im Rahmen einer Amtshilfe, möglicherweise für die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann oder den Innensenator, wenn er das bezirkliche Ordnungsrecht durchsetzt.

Sollte es dazu kommen, achten wir natürlich auch auf die Verhältnismäßigkeit.

Möglicherweise wird das nicht so einfach laufen. Beim ersten Versuch, die Zelte abzubauen, kamen innerhalb kürzester Zeit hunderte Unterstützer zusammen.
Natürlich rechnen wir anschließend mit Aktionen. Es gab ja auch in diesem Jahr Demonstrationen vom Oranienplatz direkt hier zum Landeskriminalamt. Das Thema Flüchtlinge hat in Berlin seit Monaten einen hohen Mobilisierungsfaktor, auch über die linke Szene hinaus.

Wenn Sie im Februar dieses Jahres über 800 Polizisten zu einer Zwangsräumung nach Kreuzberg schickten, um einen unbescholtenen türkischen Vater und seine Familie zu räumen, ist das doch ein politisches Statement - und zwar ein sehr massives.
Das ist so nicht ganz richtig. Für die eigentliche Räumung hätten wir niemals diese Zahl an Polizisten gebraucht. Die Einsatzzahlen spiegeln die Gesamtsumme wieder, das beginnt mit der Vor- und endet mit der Nachaufsicht des Einsatzes. Da es Begleitstraftaten im Umfeld gab, rechneten wir mit Randale im Bezirk.

Deshalb sicherten viele Kollegen die umliegende Gegend ab, um Straftaten möglichst zu unterbinden. Zwangsräumungen werden übrigens nicht von der Polizei, sondern von einem Gerichtsvollzieher durchgeführt.

Die Themen Gentrifizierung und Flüchtlinge sind beide Ausdruck einer sich wandelnden Stadt. Viele Menschen kommen nach Berlin, aus der ganzen Welt. Die Stadt wächst. Welches Konzept haben Sie für die Polizei in einer multiethnischen Metropole?
Ich habe immer gesagt, wir sind eine Bürgerpolizei. Und eine solche rekrutiert sich aus den Bürgern und sollte möglichst in der eigenen Personalstruktur die Gesellschaft widerspiegeln. Das streben wir an. Bei den Bewerbern haben wir heute einen Anteil von 20 Prozent Migranten.

Natürlich dauert es ein paar Jahre, aber in Zukunft wird sich das in der Behörde durchwachsen.

In den höheren Diensträngen sucht man aber vergeblich ein nicht-deutsches Gesicht.
Spontan fällt mir nur ein Kollege mit Migrationshintergrund im höheren Dienst ein. Klar ist, dass auch die Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund in einigen Jahren die oberen Ränge der Polizei Berlin erreicht haben werden. Das wird die Polizeikultur logischerweise verändern, wenn es eine andere Mischung von Mentalitäten gibt. Damit wir von der Bevölkerung akzeptiert werden, ist das allerdings ganz wichtig. Ob diese Aufstiegsprozesse in den kommenden Jahren funktionieren, werde ich genau beobachten.

Als die Polizei in der vergangenen Woche mit einem Video in der BVG zu Taschendieben für Aufsehen sorgte, auf dem lediglich Migranten zu sehen waren, konnte man denken, mit der kulturellen Sensibilität ist es manchmal doch nicht so weit her.
Die Diskussion wundert mich. Der Film wurde 1999 gedreht, vorher wurde er mehrfach eingesetzt und plötzlich wird er skandalisiert. Außerdem handelt es sich im Film um drei Originalaufnahmen. Das ist doch viel spannender als gestellte Szenen. Was die Zusammensetzung angeht, war das zufällig. Den alten Film haben wir dennoch zurückgezogen, weil es ein Kommunikationsmissverständnis war, nicht auf die aktuellen Präventionsfilme der Länder und des Bundes von 2011 zurückzugreifen.

Was die interkulturelle Kompetenz der Polizei angeht, gibt es weitere Kritik. Gruppen wie die Initiative Schwarze Deutsche unterstützen die »Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt«. Diese fordert ein Ende des sogenannten Racial Profiling, also der Kontrolle von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe. Was halten Sie davon?
In der Berliner Polizei gibt es kein strukturelles Racial Profiling, Punkt. Wir schreiten ein oder kontrollieren ausgehend von der polizeilichen Analyse. Das heißt, wir schaffen uns ein Lagebild zum Beispiel im Bereich des Rauschgifthandels. Natürlich verhält sich ein Dealer anders als ein Passant. Da kann man die Dinge zuordnen, logisch und kriminalistisch nachvollziehbar. Racial Profiling wäre es, wenn wir ohne Anlass im Einzelfall Leute nach ihrem Aussehen kontrollieren würden, das machen wir aber nicht.

In anderen Metropolen wie New York oder London gibt es ganz aktuell Debatten zu vorurteilsfreien Polizeikontrollen. In Großbritannien gibt es auch Bürgerkomitees, die die Polizei kontrollieren. Bürgerrechtsorganisationen plädieren in diesem Zusammenhang auch in Berlin für eine unabhängige Beobachtungsstelle.
Ähnliches läuft doch schon lange. Wir stehen in ständigem Austausch mit Migrantenorganisationen und deren Verbänden. Zudem sitzt die Polizei mit an Runden Tischen, wie andere Bürgerinitiativen auch. Mit unseren vielen Präventionsprojekten sind wir überdies gut aufgestellt. So hat das Präventionskonzept des Abschnitts 36 erst vor zwei Monaten einen bundesweiten Preis gewonnen. Für gleichgeschlechtliche Angelegenheiten sowie interkulturelle Angelegenheiten haben wir außerdem eigene Ansprechstellen bei der Polizei eingerichtet.

In Folge der Mordserie des rechtsextremen »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) litt auch die Glaubwürdigkeit der Berliner Polizei. Wie im Laufe der Affäre bekannt wurde, führte das Berliner Landeskriminalamt mindestens drei V-Personen im Umfeld der Terrorzelle. Wie wollen Sie diesen massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung wieder wettmachen?
Sobald ich ins Amt kam, habe ich die Migrantenverbände besucht. Wir haben uns intensiv auseinandergesetzt. Viele strukturelle Dinge wie die Standards bei den V-Personen des LKA und die Aktenführung wurden verbessert. Überdies stellen wir in den kommenden Jahren den polizeilichen Staatsschutz neu auf. Ich muss aber noch mal sagen, Berlin war weder Tatort noch waren wir in einer Phase ermittlungsmäßig für die drei flüchtigen Neonazis des NSU zuständig. Wir haben eine Information wohl nicht ans LKA-Thüringen gegeben, das ist ärgerlich. Aber wir haben die nötigen Konsequenzen daraus gezogen.

Sind Sie so sicher, dass nicht auch in Berlin mehr rechte Morde passiert sind? Immerhin haben Sie gerade einige ungeklärte Fälle ans Bundeskriminalamt gemeldet.
Wir haben nach einem BKA-Raster alte Tötungsdelikte aufgearbeitet. Dabei entsprachen 68 Fälle diesen Kriterien. Dazu kommen zehn weitere Fälle, insgesamt geht es also um 78 Fälle, die jetzt geprüft werden. Es ist nicht auszuschließen, dass da noch ein rechter Tatzusammenhang auftaucht, den wir bisher nicht erkannt haben. Ein Ergebnis der Prüfungen erwarte ich für das kommende Jahr.

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