Joachim Gauck war da, aber es hat sich wenig geändert
Ein Besuch im Asylbewerberheim in Bad Belzig. Dublin II und die fehlende Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge sind ein Problem geblieben
Ins Asylbewerberheim in Bad Belzig verirren sich selten Politiker. An die Visite des Bundespräsidenten kann sich Rose Dittfurth daher gut erinnern. »Am 12. Dezember 2012 war das«, sagt die Sozialarbeiterin. Damals lag hoch Schnee, als die Präsidentenkolonne vor dem heruntergekommenen Heim in der brandenburgischen Provinz vorfuhr.
Nach einem Rundgang fand Joachim Gauck damals klare Worte. Ein »Mentalitätswandel« gegenüber Asylbewerbern sei notwendig. Der Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland müsse sich ändern, vor allem menschenwürdiger werden, forderte das Staatsoberhaupt. Es war der erste Besuch eines Bundespräsidenten in einem Asylbewerberheim seit über 20 Jahren, und er sollte Signalwirkung haben.
Heute, ein Jahr nach Gaucks Besuch, gibt es im Heim in Bad Belzig, einer früheren Kaserne der Volkspolizei, durchaus Fortschritte. Die alten Baracken sollen 2014 renoviert, eine Unterkunft soll neu gebaut werden. Außerdem seien im Landkreis drei weitere Asylbewerberheime entstanden, sagt Rose Dittfurth: eines in Beelitz, zwei in Teltow. Das entlastet die Kapazitäten.
Aber zeugt das schon von einem Mentalitätswandel? Nein, meint Dittfurth zerknirscht. An der wirklichen Problematik habe sich kaum etwas geändert, »eigentlich nichts«, sagt die Sozialarbeiterin. Diskriminierende Bestimmungen wie die Residenzpflicht oder das Arbeitsverbot für Flüchtlinge gebe es immer noch. Auch die umstrittene Dublin-II-Verordnung. Sie legt fest, dass für einen Asylbewerber jeweils der Staat zuständig ist, in dem der Schutzsuchende erstmals Boden der Europäischen Union betreten hat.
Für Bashir Nuru Lam ist Dublin II ein echtes Problem. Der Flüchtling aus dem Tschad sitzt gerade im Sprachkurs. Wenn Bashir Pech hat, wird er umsonst Deutsch in Bad Belzig gelernt haben. Der junge Afrikaner floh über Italien nach Deutschland. Mit Hunderten anderen Menschen sei er in Lampedusa gestrandet, erzählt Bashir. Nach der Dublin-II-Verordnung muss er also nach Italien zurück. Dort aber gebe kein soziales Netz für Flüchtlinge wie in Deutschland, sagt Bashir. »Dann lande ich auf der Straße.«
Joachim Gauck hatte sich in Bad Belzig auch die Geschichte des Iraners Masoud Rostami angehört, der aus seinem Land fliehen musste, weil er zum Christentum konvertiert war. Der 31-Jährige ist Ingenieur. Er hat studiert. Doch arbeiten darf er in Deutschland nicht, er bekommt keine Erlaubnis. Gauck schüttelte mit dem Kopf: »Dabei brauchen wir doch Ingenieure, gell?«
Mittlerweile hat Rostami eine befristete Aufenthaltserlaubnis und eine kleine Wohnung in Potsdam, aber sie steht leer. Weil er keinen Job hat, fehlt ihm das Geld für Kühlschrank, Bett und andere Möbel. »Ich wohne in einer WG bei Freunden«, sagt Rostami. Bei Mercedes Benz bewarb er sich für ein Praktikum. »Aber Praktikanten dürfen dort nicht älter als 20 Jahre alt sein«, sagt Masoud Rostami. Die bürokratischen Hürden in Deutschland seien wirklich zermürbend. 2016 läuft seine Aufenthaltserlaubnis ab.
Im Büro der Heimleitung in Bad Belzig hat Rose Dittfurth Adventsgebäck auf den Tisch gestellt. Im Flur steht ein Weihnachtsbaum. Seit 1993 arbeitet Dittfurth als Sozialarbeiterin, Schwerpunkt Migration. Ihre ersten Schützlinge waren Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien. Die ersten drei Jahre habe sie geweint vor Verzweiflung, erinnert sich Dittfurth. Heute kommen die Menschen aus Syrien, Afghanistan, Somalia. Eine Reform der deutschen Asylpolitik gebe es immer noch nicht. »Seit 1993 reden wir über das Gleiche«, beklagt Dittfurth.
Bevor Joachim Gauck Bad Belzig verließ, kündigte er an, mit Berliner Abgeordneten und auch mit Regierungsmitgliedern über die Asylpolitik zu sprechen - vor allem aber in der eigenen Bevölkerung »für mehr Empathie und mehr Sensibilität« zu werben. Laut Rose Dittfurth hat sich bislang kein Bundespolitiker in Bad Belzig sehen lassen. Stattdessen nutzten Rechtsradikale das Thema Asyl mehr und mehr, um gegen Ausländer zu hetzen. »Die Stimmung bei den Bürgern kippt.« dpa
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.