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Erlösung oder Sünde?

Was Bischof Ralf Meister vom Internet hält

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon lange wird nicht mehr nur von den fantastischen Möglichkeiten des World Wide Web geschwärmt, sondern vor allem in Deutschland auch über Gefahren und Risiken von Online-Beziehungen und -Existenzen diskutiert. Kein Wunder also, dass sich auch die Kirchen darum kümmern, wie es den Seelen im Netz geht.

Für Ralf Meister, Bischof der Hannoverschen Landeskirche, sind die neuen Medien eine zwiespältige Sache. Einerseits sind sie ein Segen. Gerade nach Naturkatastrophen zeige sich, wie moderne Kommunikation dazu beitragen könne, Solidarität zu organisieren. Für Meister ein Beweis für die Existenz eines »Empathie-Netzwerkes«. Via Internet entstünden neue Gemeinschaften und neue Formen der Kommunikation. Damit trage das Internet beinahe schon religiöse Züge, meint der Bischof. Auch Jesus habe schließlich Nachfolge eingefordert - so wie heute Twitter und Facebook. Nur gebe es anders als zu Jesu Zeiten heute eine andere Dynamik. Kommunikation sei heute global und funktioniere in Echtzeit. Und anders als bei Jesus, der sich für seine Botschaft sogar kreuzigen ließ, steht hinter dem geposteten Wort keine Person mehr, die sich zu verantworten hat. Jeder darf alles sagen und schreiben, ohne dafür in der Regel persönliche Konsequenzen ziehen zu müssen.

Das ist für den lutherischen Bischof von Übel. »Es entsteht eine Gegenöffentlichkeit ohne Bremsen und ohne Filter. Darin kann man einen ungeheuren Gewinn an Autonomie und ein Beispiel enthierarchisierter Kommunikation sehen. Aber Shitstorms generieren große Mengen extremer Hasskommentare. Darin ist das Netz eben auch eine Welt der großen Logorrhoe geworden. Es ist eine krankhafte Sprachausbreitung«, warnt Ralf Meister. Die Abfolge der technischen Neuerungen werde immer schneller, und es gebe kaum noch Zeit und Luft zur vernünftigen Analyse.

Verteufeln möchte Meister die neuen Medien mit Blick auf die Haltung der Kirchen zu technischen Neuerungen indes nicht. Er erinnert daran, dass im 19. Jahrhundert gerade die Kirchen die ausdauerndsten Kritiker der neuen städtischen Gasbeleuchtung waren. Es habe eine halbe Generation von Pastoren gebraucht, um zu akzeptierten, dass es auch nachts hell sein kann und man damit in den direkten Schöpfungszusammenhang Gottes eingreifen darf.

Die medial-technische Entwicklung lasse sich ohnehin kaum aufhalten - auch durch den persönlichen Verzicht auf Twitter oder Facebook nicht. Die Kirchen müssen auch der Tatsache ins Auge schauen, dass es etwa den arbeits- und einkaufsfreien Sonntag schon lange nicht mehr gibt. Der schützenswerte siebte Tag der Schöpfung ist, so scheine es, sei ein Relikt aus dem analogen Zeitalter.

Nicht nur die Kommunikation und der Konsum, auch die Arbeitswelt wandelt sich durch die neuen Medien radikal. Sabria David betreibt in Bonn das Slow Media Institut. Sie rät Firmen, dass weniger Kommunikation oft mehr ist. »Das berufliche Feld ist über die digitalen Techniken auf 24 Stunden, sieben Tage die Woche ausgeweitet. Im Ergebnis nehmen die Krankmeldungen rapide zu, weil es keine Rückzugsmechanismen mehr gibt. Wenn Sie in so einem ständigen Grundzustand von Alarm und Erreichbarkeit sind, dann hat das gesundheitsschädliche Auswirkungen«, warnt David. Verantwortungsvolle Chefs würden von ihren Untergebenen nicht ständige Bereitschaft fordern und dies auch so kommunizieren. Mittel- und langfristig verhindere das nämlich dauergestresste Mitarbeiter. Und auch in der Arbeitswoche lassen sich die Datenströme sinnvoll reduzieren.

Ob im Landeskirchenamt in Hannover auf E-Mails verzichtet wird, sagt der dortige Bischof Ralf Meister nicht. Nur rät er dringend dazu, die alte christliche Tradition des Fastens auch auf den Medienkonsum anzuwenden. Wer ein Mal in der Woche oder vielleicht sogar sieben Wochen offline lebt, bekomme den Kopf frei für anderes. Denn der Mensch sei mehr als nur die Summe der Informationen über ihn. Hinter jedem Mensch stecke auch ein Geheimnis, und das könne man eben nur analog entdecken.

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