Weihnachten im Asyl
Flüchtlinge in Berlin versuchen, die Festtage zu genießen und Freude zu finden
Elgin Nuhi genießt es, durch das weihnachtlich geschmückte Berlin zu laufen. »Alles leuchtet so schön. Es riecht nach Gewürzen«, schwärmt der zehnjährige Junge. Gerne würde er auch mal auf dem Weihnachtsmarkt am Alex ein paar Runden mit einem Karussell fahren. Aber das ist zu teuer. Elgin Nuhi lebt mit seinen Eltern und dem älteren Bruder als Asylbewerber in Berlin. Die Sozialleistungen, die die Familie bekommt, betragen etwa 90 Prozent des ALG-II-Satzes. Da muss sich der Junge mit den Erinnerungen von einem Weihnachtsmarktbesuch vom vergangenen Winter begnügen: Damals hatte eine Bekannte der Eltern ihn und seinen Bruder dorthin eingeladen. »Am schönsten war die Vorstellung mit einem Zauberer«, schwärmt der Junge, der seit vier Jahren in Berlin lebt und akzentfrei deutsch spricht.
Knapp 16 000 Asylbewerber leben derzeit in Berlin. Die Hälfte von ihnen wohnt in Wohnheimen. Die andere Hälfte, zu denen die aus dem Kosovo geflüchtete Familie Nuhi gehört, lebt in Wohnungen. »Es ist viel angenehmer hier als im Wohnheim, wo wir drei Jahre lang wohnten und uns ein einziges Zimmer teilten«, sagt Elgins Mutter. Hier hat die vierköpfige Familie eine abgeschlossene Wohnung mit zwei Zimmern, Bad und Abstellkammer. Und eine Küche, in der die Mutter gerade etwas Besonderes zubereitet. Sie hat Blätterteigtaschen mit Käse gefüllt, Kohlrouladen gebrutzelt und will noch Blätterteigplätzchen backen.
»Eigentlich sind wir Moslems und feiern Weihnachten nicht«, sagt der 41-jährige Familienvater Sadat Nuhi. »Aber die Kinder wachsen hier auf und haben Erwartungen.« Dazu gehört auch ein Weihnachtsbaum. Der Baum der Nuhis ist aus Plastik und nur 20 Zentimeter hoch. Aber den Kindern gefällt er. »In unserer Klasse sind wir nur drei, die Weihnachten nicht feiern«, erzählt Elgins 16-jähriger Bruder Elmen. »Wir haben aber auch einige Türken, die Weihnachten feiern, obwohl sie Muslime sind.«
Und obwohl sie Muslime sind, werden die Nuhis am 25. Dezember zu einem Weihnachtskonzert in die benachbarte Kirche gehen. Weil die Kirchgemeinde sie eingeladen hat. Und weil Weihnachtsmusik einfach etwas Schönes ist.
Geschenke wird es am 24. Dezember keine geben. Das sei keine Tradition in der Familie, erklärt der Vater. Der zehnjährige Elgin sagt, damit keine Probleme zu haben. »Geschenke gibt es dafür eine Woche später, am Silvestertag.« Sein größter Wunsch ist ein Fußballtrikot der spanischen Fußballmannschaft von Real Madrid. Für Elgin, der in einer Spandauer Jungenmannschaft selbst kickt und von einer Profikarriere träumt, ist das »die beste Mannschaft weltweit«. Und ein Geschenk gab es auch schon letzten Sonntag: Die Familie war bei einer deutschen Familie zu einer Adventsfeier eingeladen und für die Söhne gab es Lego-Steine und einen MP3-Player.
Kommt das Gespräch auf Silvester, gibt es eine Kontroverse in der Familie. Die Eltern erwarten, dass die Familie diesen Abend gemeinsam feiert. Der 16-jährige Elmen würde nach dem gemeinsamen Mittagessen und der Bescherung lieber mit seinen Schulfreunden ins neue Jahr hinein feiern. Wie der Konflikt entschieden wird, steht noch nicht fest. »Vielleicht fahren wir alle zusammen zum Brandenburger Tor, die Familie und Elmens Freunde«, deutet Vater Sadat Nuhi Kompromissbereitschaft an. Denn eigentlich sei sein Sohn noch zu jung, um den Feiertag nicht mit der Familie zu begehen, fügt er hinzu.
Die Nuhis sind in Berlin gut integriert, haben ein großes soziales Umfeld. Für Asylbewerber, die in Wohnheimen wohnen, ist die Integration schwerer. An vielen Orten wurde Weihnachten dennoch an sie gedacht: Die Initiative »Hellersdorf hilft« will in dem Heim in der Carola-Neher-Straße, das im Sommer unrühmliche Schlagzeilen schrieb, am heutigen Dienstag alle Kinder bescheren. Die fremdenfeindlichen Proteste hatten als Gegenreaktion eine große Hilfsbereitschaft hervorgerufen. Ein paar besondere Spenden hob die Initiative für Weihnachten auf. In einem Asylheim am Westend trägt der Weihnachtsmann eine Polizeiuniform: Polizistinnen und Polizisten des Polizeiabschnittes 22 haben Spielzeug für Flüchtlingskinder gesammelt. Und im Allendeviertel in Köpenick hatten Bezirksamt und Anwohner eine Weihnachtsfeier für Flüchtlingskinder initiiert: mit Weihnachtsmann, Wichteln, Schulchor und Geschenken in einem festlich geschmückten Saal.
Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Andreas Geisel (SPD) hatte am Montag gemeinsam mit Flüchtlingskindern seines Bezirkes im Theater an der Parkaue die Vorstellung »Die Schneekönigin« angeschaut. Geisel: »Für die Kinder ist es besonders wichtig, außerhalb der Wohnheime an kulturellen, sozialen oder auch sportlichen Aktivitäten teilhaben zu können. Ich bin überzeugt, dass dieser Theaterbesuch für die Kinder ein unvergessliches Erlebnis war.«
Für die Nuhis hatte niemand eine Weihnachtsfeier organisiert, solange sie noch in ihrem Charlottenburger Wohnheim wohnten. Einen Theaterbesuch schon. Für Elmen und Elgin war das ein besonderer Tag.
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