Trend Rekommunalisierung
Volksentscheid zur Energie und Rückkauf der Wasserbetriebe bestimmten 2013 die Debatte
Es war mit Sicherheit der aufregendste politische Moment 2013 in Berlin. Minutenlang starren die rund 150 Unterstützer des Berliner Energietisches am Abend des 3. Novembers in einem Lokal in Prenzlauer Berg auf die Leinwand. Gebangt wird um die Frage, ob der Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Energieversorgung nicht nur genügend Ja-Stimmen erhalten, sondern auch das nötige Quorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten in Berlin erreicht hat.
»Das ist ja spannender als eine Bundestagswahl«, bringt die Landesgeschäftsführerin der Linkspartei, Katina Schubert, die Stimmung auf den Punkt. Endlich gegen 19:50 meldet sich die Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach über Handy bei Michael Efler, der Vertrauensperson des Energietisches für den Volksentscheid. Sekunden später muss Efler übers Mikro verkünden: »Leider haben wir es nicht ganz geschafft.«
27. Februar 2012: Das Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung beginnt. Für die erste Stufe des Volksbegehrens, das das Bündnis Energietisch initiiert hatte, sind rund 20 000 gültige Unterschriften nötig.
3. Juli 2012: Der Energietisch reicht 36 089 Unterschriften für das Volksbegehren ein. Rund 30 000 der Unterschriften sind gültig, die erforderliche Zahl an Signaturen konnte also gesammelt werden.
25. Juni 2013: Der Energietisch schafft auch die zweite Stufe für einen Volksentscheid. Die Landeswahlleiterin bestätigt, dass von 271 494 eingereichten Unterschriften rund 228 000 gültig sind, womit die Quorum von rund 170 000 gültigen Unterschriften klar erfüllt werden konnte. Als Termin für einen Volksentscheid legt der Senat den 3. November fest, der Energietisch hatte eine Abstimmung parallel zur Bundestagswahl gefordert.
3. November 2013: Am Ende fehlen rund 21 000 Ja-Stimmen: Der Volksentscheid für eine Stromversorgung in Bürgerhand scheitert knapp. Ein kleines landeseigenes Stadtwerk wird nach einem Beschluss des Abgeordnetenhauses vom Oktober dennoch gegründet. (nd/kröger)
Insgesamt 21 000 Ja-Stimmen fehlen am Ende, rund 600 000 Unterstützer hatte der Volksentscheid. Der Energietisch will dennoch weitermachen und kündigt noch am Wahlabend an, weiter Druck auf den Senat in Sachen Konzessionsvergabe des Stromnetzes und der Gründung eines ökologischen Stadtwerks machen zu wollen.
Trotz der Niederlage hat der Energietisch 2013 die Debatte zur Rekommunalisierung in Berlin maßgeblich vorangetrieben. Was vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wäre, nämlich den Ausverkauf öffentlicher Unternehmen und Güter durch den Senat umzukehren, ist spätestens seit 2013 politische Praxis in der Hauptstadt. Dem Trend Rekommunalisierung kann sich nicht einmal die neoliberale CDU entziehen, für die das Thema keine »Herzensangelegenheit« ist, wie es ihr CDU-Fraktionschef Florian Graf betont.
Anders sieht es bei seinem Pendant von der SPD, Raed Saleh, aus.
Dass der Senat für den Rückkauf der Wasserbetriebe und die Gründung eines Stadtwerks einsetzt, ist vor allem der Politik seiner Partei und Fraktion geschuldet, sagt der Sozialdemokrat. Saleh sagt in diesem Zusammenhang immer wieder gerne, wie gut man mit der CDU im Abgeordnetenhaus »linke« Politik machen kann. Besonderer Ausdruck davon ist natürlich der Umgang mit Landesbeteiligungen. »Ideologisch« sei das Thema Rekommunalisierung aber nicht zu sehen, sagt Saleh auch. »Was wir gemacht haben, ist wirtschaftlich vernünftig.« Denn mit der Zustimmung zum Rückkauf der Veolia-Anteile von 24,95 Prozent für 590 Millionen Euro im November dieses Jahres hat das Land Berlin jetzt alleinigen Zugriff auf die sprudelnden Gewinne der Wasserbetriebe. 2012 war bereits der zweite private Anteilseigner bei den Wasserbetrieben, der Essener RWE-Konzern, vom Land Berlin herausgekauft worden. Für die SPD ist Rekommunalisierung langfristig eine Strategie, um zusammen mit Ansiedlungen Mehreineinahmen für die Stadt zu generieren angesichts drohender Kürzungen im Länderfinanzausgleich und möglicherweise anziehender Zinsen.
Im kommenden Jahr wird sich zeigen, wie sich der Trend Rekommunalisierung fortsetzen wird. Mit rund 5,5 Millionen Euro wird dann das bei den Berliner Wasserbetrieben angesiedelte Stadtwerk aufgebaut werden. Auch die Bewerbung um die Stromkonzession wird in die entscheidende Phase gehen. »Es ist doch kein Wunder, dass Vattenfall das Stromnetz haben will«, sagt Saleh. Schließlich lässt sich auch damit Geld für den Haushalt verdienen.
Kritisch begleiten werden diesen Prozess auch weiter Bürgerinitiativen wie der Berliner Energietisch. Auch die Wasserinitiativen, die den Rückkauf der Wasserbetriebe durch den Senat als »goldenen Handschlag« kritisieren, wollen sich im »Wasserrat« neu aufstellen. Unterstützung bekommen die genannten Zusammenschlüsse von Grünen, Linkspartei und Piraten. »Die SPD ist Gut für Bekenntnisse, aber sie haben keine wirkliche Idee, wie ein Stadtwerk aufgebaut werden soll«, sagt der Energieexperte der Linksfraktion, Harald Wolf. Um die Koalition in der Sache zu treiben, will die Opposition deshalb im Januar eine Enquetekommission im Abgeordnetenhaus einsetzen, in der mit Experten und Bürgern eine energiepolitische Strategie entwickelt werden soll. Das Thema Rekommunalisierung ist mit dem gescheiterten Volksentscheid also nicht beendet. Im Gegenteil, die Debatte wird 2014 weiter gehen.
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