Seehofers Spiel mit dem Ressentiment
Ab Silvester gilt die europäische Freizügigkeit auch für Bulgaren und Rumänen - vor der Europawahl macht die CSU jetzt Stimmung dagegen
Die »Bild«-Zeitung hat es auf den Punkt gebracht: »CSU will härtere Strafen für Armutszuwanderer«, schreibt das Boulevardblatt jüngst in einer Unterzeile - was ja nichts anderes heißt, als dass nicht nur Zuwanderung, sondern auch Armut als Verbrechen zu betrachten sei. Doch während selbst der »Bild«-Bericht ein wenig differenzierter ausfällt, als es die zitierte Zeile vielleicht erwarten lässt, greift die CSU voll in die rechten Tasten.
Wie im Vorfeld der jährlichen christsozialen Klausur in Wildbad Kreuth bekannt wurde, will sich die Seehofer-Truppe offenbar auf den xenophoben Kurs versteifen, den Ex-Innenminister Hans Peter Friedrich bereits im Dezember im EU-Kontext verschiedentlich angekündigt hatte: An der zu Jahresbeginn auch für Rumänen und Bulgaren in Kraft tretenden Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger will ein CSU-Papier erhebliche Abstriche machen.
Die bayerische Staatspartei möchte demnach nicht nur »prüfen«, den Bezug von Sozialleistungen für die ersten drei Monate generell auszusetzen. Wer falsche Angaben mache, soll darüber hinaus nicht nur ausgewiesen, sondern auch an einer Wiedereinreise gehindert werden können: »Wer betrügt, der fliegt«, heißt es in dem Papier, das einen vermeintlich unkontrollierbaren Zuzug von Menschen an die Wand malt, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt »keine Chance« hätten und nur auf deutsche Sozialleistungen schielten.
An diesem Zungenschlag gab es das Wochenende über scharfe Kritik. Die SPD-Vizevorsitzende und Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoguz, sprach von »falschen Pauschalurteilen« und Stimmungsmache »gegen Arme«. Die Kommunen, die nun Angst hätten vor weiteren Kostensteigerungen im Sozialbereich, bräuchten keine Parolen, sondern finanzielle Hilfen.
Schärfer noch fiel die Kritik der Oppositionsparteien im Bundestag aus: LINKE-Chef Bernd Riexinger spricht von »übler Hetze«, mit der die CSU »braune Banden zu Gewalt« ermutige. Grünen-Innenexperte Volker Beck warnte vor einem »Vergiften« des innenpolitischen Klimas durch die Christsozialen.
Zum Hintergrund der bajuwarischen Parole gehört auch, dass der etwas verschämte Term »Armutseinwanderer aus Bulgarien und Rumänien« an so manchem deutschen Stammtisch inzwischen als Synonym für Sinti und Roma verstanden wird. Bereits Anfang Dezember hatte denn auch der Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland empfindlich auf die Brüsseler Vorstöße von Friedrich reagiert: »Das Recht auf Freizügigkeit in der EU ist nicht teilbar«, erklärte seinerzeit dazu der Zentralrats-Vorsitzende Romani Rose.
Verschiedene Ökonomen und Arbeitsmarktexperten haben sich mittlerweile kritisch zu den CSU-Plänen positioniert. Selbst in einem Bericht des zur Bundesagentur für Arbeit gehörenden Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird das von der CSU verbreitete Bild unqualifizierter Zuwanderer ohne Arbeitsabsichten ausdrücklich zurückgewiesen: Die gegenwärtigen Zahlen erlaubten es nicht, in diesem Zusammenhang pauschal von »Armutseinwanderung« zu sprechen.
In der »FAZ« warf Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung darauf hin, dass von den jetzt schon rund 370 000 in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen 55 Prozent mindestens einen Fachhochschulabschluss hätten - und damit höher qualifiziert seien als der deutsche Durchschnitt. Das IAB erwartet auch keine Einwanderungsflut, sondern in etwa 100 000 bis 180 000 Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien.
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gehört als Spezifizierung der Personenfreizügigkeit zu den vier Grundfreiheiten des gemeinsamen Binnenmarktes und zählt somit zum absoluten Kernbestand des europäischen Gemeinschaftsrechtes. Das populistische Vorpreschen der Christsozialen ist auch als Vorspiel für die Europawahl am 25. Mai 2014 zu verstehen. Offenbar wollen sich die Tiefschwarzen in deren Vorfeld »europakritisch« positionieren, ohne etwa die »Bankenrettungen« ansprechen zu müssen. Dazu passt auch die Forderung nach einer neuen Instanz zur Überprüfung von Entscheidungen der EU-Kommission.
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