Mehr Licht in der Rosenlaube
Kölner Schau präsentiert die erstaunlichen Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojekts zur mittelalterlichen Malerei
Was Pracht und Großartigkeit angehe, könne sich keine Stadt in Europa mit Köln messen - so schwärmte im 15. Jahrhundert Papst Pius II. Mit rund 40 000 Einwohnern stand Köln damals an der Spitze in Deutschland. Und beim Blick auf die imposante Silhouette der Rheinmetropole verschlug es den vielen anreisenden Wallfahrern und Kaufleuten regelmäßig die Sprache.
Auch heute kommt noch allerhand Volk her. Die meisten Besucher zieht es wohl ins Konsumgetümmel auf der Schildergasse. Bedrängt von den Massen, die sich über die erste Einkaufsmeile schieben, mag manch einem allerdings bald nach Flucht zu Mute sein. Nahe liegt da der Weg um die Ecke in den Keller des Wallraf-Richartz-Museums, wo man in der Schau »Geheimnisse der Maler« jetzt tief abtauchen kann ins gute alte Kölner Mittelalter.
Doch selbst vor diesem hehren Ort macht das schnöde Hier und Jetzt nicht Halt. In Gestalt einer Fototapete haben sich die Allerwelts-Ladenzeilen von oben nach unten ins Ausstellungsentree geschlichen. Als Einstimmung sozusagen. Denn ausgerechnet dort, wo sich heute die Plastiktütenträger tummeln, hausten vor 600 Jahren die für ihr Können international geschätzten Maler der Stadt. Daher der Name Schildergasse. Die Bemalung von Fahnen und Vorhängen, Türen, Kästchen und Truhen fiel in ihr Ressort. Das alles schafften die Maler neben den vielen Tafelbildern für Kirchen, Klöster oder die Andacht daheim. Das älteste Kölner Museum bewahrt gewichtige Beispiele aus dieser Sparte, die nun auch im Zentrum der Ausstellung stehen. Doch geht es nicht nur darum, jene wunderbaren Bild-Beispiele vorzuzeigen. Das ganze Drumherum wird aufgerollt. Wo, wie, unter welchen Bedingungen und mit welchen Hintergedanken sind die Kölner Maler in ihrer Blütezeit zwischen 1380 und 1450 ans Werk gegangen? Wer hat was gemalt? Allein oder im Team? Und wodurch zeichnet sich die Arbeit des einen oder anderen überhaupt aus?
Lauter Fragen, denen Kunsthistoriker und Kunsttechnologen aus Köln und München in ihrem vom Bundesforschungsministerium unterstützen Projekt seit 2009 nachgegangen sind. Dabei haben sie erstaunliche und überraschend viele Neuigkeiten zutage gefördert. Der Schau nun gelingt es, die zum Teil ziemlich komplexen Untersuchungen und Folgerungen breitentauglich aufzubereiten.
Rätsel gibt beispielsweise die Autorschaft auf, denn die Kölner Maler des Spätmittelalters signierten grundsätzlich nicht - weil sie im allgemeinen Verständnis weniger Künstlerpersönlichkeiten, denn Handwerker waren. Und vielleicht auch, so mutmaßt Roland Krischel, Leiter der Mittelalterabteilung am Wallraf, weil sie sich »als Medien der göttlichen Inspiration« sahen und als Einzelne hinter das Kollektiv zurücktraten. Selbst von dem bis heute prominentesten Kölner Malerstar des Mittelalters, Stefan Lochner, ist kein einziges signiertes Werk überliefert.
Erschwert wird die Spurensuche überdies durch die in der verschworenen Kölner Malerschaft bemerkenswert weit fortgeschrittene Spezialisierung. Häufig machte man sich zusammen und gleichzeitig am selben Werk zu schaffen. So erkannten die Forscher etwa in der nach 1418 datierten »Muttergottes mit der Wickenblüte« allein drei Hände, die an der Punzierung des Goldgrundes beteiligt waren. Auch in den Figuren auf den Tafeln des Triptychons wurden unterschiedliche Malweisen ausgemacht - womöglich hatten demnach insgesamt fünf Meister ihre Finger im Spiel. Um ein paar Ecken weitergedacht kommen die Kölner und Münchner Wissenschaftler zu dem Schluss, dass der an diesem Triptychon beteiligte »Meister der heiligen Veronika« eigentlich anders heißen müsste - denn alles spricht dafür, dass die beiden Veronika-Gemälde, denen er seinen Notnamen verdankt, ein anderer geschaffen hat.
Wie aber hielt es nun Stefan Lochner mit dem Malen allein und im Team? Die Schau widmet dem »Meister ohnegleichen« ein eigenes Kapitel, wo außer den allenthalben bekannten Topwerken ein paar aufschlussreiche Zugaben geboten werden. Neben dem fantastischen »Weltgericht« hängt da etwa die Aufnahme einer hochmodernen Infrarotkamera. Deutlicher als je zuvor ist darauf die unter der Farbe verborgene Vorzeichnung zu bewundern: Alle Formen und Details scheinen dort haarklein vorgegeben. Licht und Schatten sind so exakt modelliert, dass schon in der Zeichnung ein plastischer Eindruck entsteht.
Lauter Eigenheiten, die kaum einen Zweifel lassen - hier war ausschließlich der Meister selbst aktiv. Doch warum machte Lochner sich so große Mühe beim Zeichnen, wenn nachher sowieso alles unter der Farbe verschwand? Mag sein, dass der junge Aufsteiger Zunftmeister oder Auftraggeber eine Probe seines Könnens liefern sollte oder wollte.
Und noch eine Überlegung drängt sich angesichts der neusten Untersuchungen auf. So darf man neuerdings vermuten, dass dieses frühe Werk als Mitteltafel eines Triptychons mit Flügeln versehen war, die es zeitweise verhüllten. Vorstellbar wäre auch ein Vorhang, hinter dem es von Zeit zu Zeit verborgen werden konnte. Denn - so ein weiteres wichtiges Forschungsergebnis - zu Lochners Zeiten waren Tafeln mit Goldgrund in der Regel nicht permanent sichtbar. Ihr Glanz durfte die Gläubigen nur zu bestimmten Gelegenheiten beeindrucken.
So zeigten sich bei den technologischen Durchleuchtungen an etlichen der alten Tafeln Spuren von Dübeln und Scharnieren - Hinweise auf verhüllende Vorrichtungen, die im Zuge der Säkularisation seit dem 19. Jahrhundert demontiert worden sind und sich nun erstmals wieder rekonstruieren lassen. Auch Lochners berühmte »Mutter Gottes in der Rosenlaube« kam wohl nur dann und wann ans Licht und ruhte den Rest der Zeit hinter einem zweiten Flügel, der heute verloren ist. In der Schau glänzt sie selbstverständlich unverhüllt. Doch offenbart sich selbst aus nächster Nähe und mit scharfen Augen betrachtet schwerlich ihre malerische Feinheit in all ihrer Fülle.
Die Ausstellung bietet darum vergrößerte Detailaufnahmen. Sie bringen uns Lochners Kunst ganz nahe: Marias ungemein genau erfasste Brosche, deren Perlen fast greifbar erscheinen. Jene roten Blüten um sie herum, die wohl mit Hilfe eines spitzen Holzstäbchens modelliert wurden. Das Fell der Teufel im »Weltgericht«: mal weich verwischt, mal borstig wie aus der nassen Farbe gekratzt.
Doch trotz all der neuen technischen Möglichkeiten, die in Köln zum Einsatz kamen, bleibt manch ein Fragezeichen stehen. So ganz werden diese Werke ihr Geheimnis wohl nie preisgeben.
Bis 9. Februar 2014. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln.
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