Die armen Seelen

Andrea Maria Schenkel: »Tannöd«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Eine bis dahin völlig Unbekannte kommt auf Krimi-Bestenlisten: Andrea Maria Schenkel mit »Tannöd«, ihrem ersten Roman. Ein ungeklärter Mordfall in der Oberpfalz hat ihre Fantasie angeregt. Vielleicht war ihr selbst auch ein wenig gruslig dabei. Man führe sich vor Augen: ein abgelegener Bauernhof, dessen Bewohner blutüberströmt und tot aufgefunden werden. Sechs Menschen in einer Nacht mit der Spitzhacke erschlagen und keine Spur, wer es gewesen sein könnte. Die Autorin hat sich vorgestellt, wie sie dorthin fahren würde. Vielleicht als jemand, der aus dem Ort stammt, dann aber weggezogen ist. Einer Noch-Bekannten würden die Leute vielleicht Auskunft geben. Ungern freilich, denn es ist ganz offensichtlich ein verschlossenes Volk, das dort haust. - Allein schon das heute einem Städter exotisch scheinende Milieu gibt dem Buch seinen Reiz. Bauern auf ihren Höfen, die mit Knechten und Mägden arbeiten, die wie vor hundert Jahren anspannen, um zu pflügen, noch mit der Hand melken. Jeder auf seins bedacht, seinen Hof, sein Vieh. Nun, so wird es heute dort noch sein. Auch wenn sie Maschinen haben. Es zählt, wie gut jemand »sein Sach« zusammenhält. Aber das Buch spielt zehn Jahre nach Kriegsende. Und als eine junge polnische Zwangsarbeiterin erwähnt wird, die sich vor den Zudringlichkeiten des alten Bauern Danner aus Tannöd nur retten konnte, indem sie sich im Heustadel erhängte, glaubt man schon eine Spur gefunden zu haben. Doch es sind viele Fährten, die die Autorin kunstvoll zu legen versteht. Das Buch - ein Stimmengeflecht. Ein achtjähriges Mädchen, eine 86-jährige Beamtenwitwe, der Lehrer, der »Postschaffner«, ein Monteur, der in Tannöd die Futterschneidemaschine reparieren musste, mehrere entfernte Nachbarn mit Frauen und Kindern, der Bürgermeister, der Pfarrer und dessen Haushälterin - sie erzählen, was sie wissen. Man muss ihnen wohl die Worte aus der Nase ziehen. Die meisten wollen die grausige Tat möglichst schnell vergessen, so wie sie auch frühere Verbrechen verdrängt haben. Bloß dass sie die Angst quält, ihnen könnte ähnliches widerfahren. Und zwischen diesen dumpfen Leuten läuft der Mörder herum. Er melkt die Kühe, schneidet sich mit dem Taschenmesser ein Stück Rauchfleisch ab, und wir beobachten ihn dabei. Erst denkt man, dass es der Bauer selber ist, bevor man erfährt, dass auch er umgebracht wurde. Aber wer ist es? Der Autorin gelingt es, dass diese Frage den Leser bis zuletzt in Atem hält, ehe sich alles einfach und logisch erklärt. Oder doch nicht so ganz? Zwischen den Stimmen Gebetslitaneien. Denn in der Tiefe wabert ein abergläubisches Grauen. Die Pfarrersköchin will am Waldrand den Teufel gesehen haben »mit Hut und Feder auf dem Kopf«. Der Freitag, sagt sie, »ist ein guter Tag für die schwarzen Leit und für die Trud und des ganze Volk. So mancher ist schon am Freitag verschwunden, noch dazu in einem solchen Haus, in dem sich schon einer umgebracht hat. Da gehens doch ...

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