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Der Tag des kurzen Tonfa
Am 21. Dezember 2013 griff die Polizei vor der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel ein paar Tausend Leute an. Sie glaubten unter dem sympathischen Motto: »Das Recht auf Stadt kennt keine Grenzen« darauf vertrauen zu können, sich unter dem Schutz des Demonstrationsrechts frei zu versammeln. Eine Fehleinschätzung! Mit so einem Motto kann die Polizei in der Regel gar nichts anfangen, sehr wohl aber mit einer präzisierten Vorstellung davon, dass »das Recht auf Stadt keine Grenzen gerade für Investoren« kennt und kennen soll. Und so galt an diesem Tag für die Einsatzleitung der Polizei: Feindbekämpfung – und das ganz im Unterschied zu dem für die Durchsetzung von Aufzügen von Neofaschisten sensibel ausgeübten Schutz des Versammlungsrechtes.
Gepanzerte Spezialtruppen liefen dabei frontal in die Menge, um diese zu malträtieren. Glaubt man den Angaben des Hamburger Ermittlungsausschusses, so scheint die Polizei hier eine reiche Ernte eingefahren zu haben. Etwa 500 – in Worten: fünfhundert – Demonstrant/innen wurden durch den Polizeieinsatz verletzt, wenigstens 20 davon schwer. Damit war es der Polizei innerhalb eines halben Jahres gelungen, die im Juni durch die Zerstörung der Blockupy-Demonstration in Frankfurt/Main erreichte exorbitante Verletzungsrate von etwa 300 Demonstrant/innen weit zu übertreffen.
Sowohl bei der in Hamburg, wie auch bei der in Frankfurt zerstörten Demonstration war neben dem unlimitierten Gebrauch von Pfeffergas, der aus China stammenden Schlagstock Tonfa das wesentliche polizeiliche Einsatzmittel, um Demonstrant/innen schwer zu verletzen. Der Augenblick ist leider schon lange vorbei, als der konservative Berliner Polizeipräsident Georg Scherz in den späten 80er Jahren die Einführung dieser tückischen Waffe nach einem Schlagtest in seinem Büro, zutiefst erschrocken über deren Wirkung, ablehnte.
Von dem stellvertretenden Vorsitzenden des Landesverbands der Deutschen Polizeigewerkschaft in Hessen, Björn Werminghaus, wurde mit der Bezeichnung der Demonstrant/innen – und das mit klarem Blick auf die Geschichte dieses Landes – als »gewalttätiger Abschaum« zutreffend der politische Zusammenhang der Polizeipraxis in Hamburg hergestellt. Aus der Sicht dieses Teils der staatlichen Ordnungskräfte geht es bei diesen Demonstrant/innen darum, diese in geeigneter Weise zu beseitigen. Wer sich erkennbar außerhalb der von Angela Merkel in gewohnt freundlichen Ton verkündeten Zone der Marktkonformität bewegt, fällt nicht mehr unter dem Schutz des Grundgesetzes. Er oder sie kann zwischenzeitlich für die Polizei – noch stets sekundiert vom jeweiligen Innenminister – als vogelfrei gelten – mit allen zum Teil dramatischen Konsequenzen, die so etwas für die körperliche Unversehrtheit mit sich bringt.
Natürlich muss hier der Vorsitzende dieser Organisation, Rainer Wendt, zu der von Werminghaus verwendeten instruktiven »Abschaum«-Formulierung darauf hinweisen, dass das der öffentliche »Sprachgebrauch« seiner Organisation aktuell nicht sein kann. Das gilt aber nicht für die Denkweise der deutschen Polizeigewerkschaft, denn dafür bürgt ihr Vorsitzender Wendt persönlich. Seine politischen Perspektiven in Sachen weiterer Polizeibewaffnung sind ja nicht zufällig auch schon mal von der Gewerkschaft der Polizei mit dem Begriff des »Bürgerkrieges« benannt worden.
Wenigstens ein Element des Faschismus besteht darin, jenseits aller Kontrollbezüge staatliche Gewalt freizusetzen, um mögliche politische Gegenentwürfe zu den Vorhaben staatlicher Politik zu chaotisieren. Bei aller notwendigen Solidarität mit der couragierten Gegenwehr einer Vielzahl von eingekesselten Demonstrant/innen im Schanzenviertel, die sich damit allemal auf die Haltung eines militanten Christdemokraten vom Schlage eines Heiner Geißler berufen können. Eben das ist den staatlichen Ordnungskräften in Hamburg mit dem von vornherein irregulär angelegten Polizeieinsatz am 21. Dezember vor der Roten Flora zunächst einmal siegreich gelungen.
»Ein entscheidendes Erkennungsmerkmal des Faschismus«, schreibt Sebastian Haffner in seinem legendären Kommentar zu der »Nacht der langen Knüppel« vom 2. Juni 1967 in Westberlin, ist, »dass er jede Abweichung vom offiziellen Meinungsmonopol mit Gewalt unterdrückt«. Danach folgte dann, so Haffner weiter, »in klassischer Form die alte faschistische Spirale von Lüge und Gewalt. Die Lüge braucht die Gewalt, um sich durchzusetzen, und die Gewalt braucht dann wieder die Lüge, um sich zu rechtfertigen«. Man hat guten Grund zu der Annahme, dass sich die von der Springer-Presse in Hamburg beherrschte politische Situation heute in der Struktur nicht wesentlich anders darstellt.
Die autonome Bewegung steht nun vor der schwierigen Aufgabe, die gegen sie staatlicherseits in Anschlag gebrachte immense Gewaltandrohung subversiv zu unterlaufen.
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