Lachen mit Schotty
Veganer sind eine Minderheit – das gilt im wahren Leben wie im Fernsehen. Umso interessanter, wenn sich das Treiben in der bunten Flimmerkiste – von Dokumentationen und Magazinbeiträgen abgesehen – auch in unterhalterischen Formaten dieser Gruppe widmet.
Im Fall des Tatortreinigers gelingt Regisseur Arne Feldhusen das Kunststück, die Auseinandersetzung mit Veganern so zu inszenieren, dass selbige sogar darüber lachen können. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich die bisherigen Versuche anschaut.
Veganer oder Vegetarier wurden bisher vorwiegend als die etwas verdrehten Außenseiter inszeniert, deren Idealismus der Zuschauer zwar grundsätzlich sympathisch gegenübersteht, aber dann doch irgendwie für aus dem engen Raster des Normalen gefallen hält. Vegetarier bzw. Veganer sind nach dieser Lesart irgendwie nett, aber selbst einer werden wäre dann doch zu viel der guten Dinge.
Deshalb wird der etwas aus der menschlichen Art Geschlagene im Verlauf der jeweiligen Handlung dann auch meist irgendwie zurück ins warme Nest der Mehrheitsgesellschaft geholt, die nun Fleisch und andere tierrische Porodukte als selbstverstädnlich ansieht. Ein Paradebeispiel dafür ist der 2002 erschiene Spielfilm »About a boy«, nach der gleichnamigen Romanvorlage. Der 12-jährige Außenseiter Marcus und seine depressive Mutter Fiona sind beide Vegetarier. Nach einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch und einigen durchaus witzig inszenierten Verirrungen später, endet der Film mit einem mehr als offensichtlichen Seitenhieb Richtung Pflanzenesser: Marcus Mutter erlaubt ihrem Sohn den Besuch eines allseits bekannten Fast-Food-Restaurants, wo der 12-Jährige endlich in den lang ersehnten Big Mac beißen darf und somit in den Kreis jener vermeintlich coolen Kids aufsteigt, für die tote Fleischmassen etwas alltägliches sind.
Apropos totes Tier: »About a boy« endet damit, dass Marcus und Fiona gemeinsam mit ihren neuen Freunden an der reichlich gedeckten Weihnachtstafel sitzen, in deren Zentrum ein braungebrannter toter Vogel thront. Die Außenseiter sind endlich integriert.
Selbige Herangehensweise deutet sich zunächst auch in der Folge »Fleischfresser« des Tatortreinigers an.Heiko »Schotty« Schotte kommt wie zum Anfang jeder Episode, dieser leider vom NDR ins Spätprogramm verbannten Serie, an den Tatort, der in diesem Fall die Wohnung eines allein lebenden Mannes ist, der Selbstmord begangen hat. Da er vom Vermieter den falschen Schlüssel für die Wohnung ausgehändigt bekam und überdies sein Handy vergessen hat, bittet er kurzerhand die gerade zufällig vom Einkaufen wiederkommende Nachbarin um Hilfe.
Kim sitzt im Rollstuhl – und ist Veganerin. Was wohl nicht nur für den veganen Zuschauer zunächst – wie im Fall von »About a boy« – nach einem dicken Seitenhieb ausschaut, löst der Tatortreiniger durch einen Humor auf, der trotz seiner Überzeichnung der Charaktere sehr nah an die Realität heranreicht. Nachdem Kim zum ersten Mal das Stichwort vegan fallen lässt, offenbart Schotty in seiner proletarisch-flapsigen Art, dass er mit diesem Begriff eigentlich nichts anfangen kann und vegan zunächst für den Auslöser von Kims Leben im Rollstuhl hält.
Gerade diese Konstellation aus körperlicher Beeinträchtigung und veganer Lebensweise ist es aber erst, woraus der eigentliche Witz des sich anschließenden Wortgefechts seinen Charme zieht. Schotty als überzeugter Fleischesser mit einer Scheibe Gesichtsmortadella auf seinem Pausenbrot kann die Veganerin natürlich zunächst nicht verstehen und bringt deshalb jene typischen Argumente vor, die wohl jeder Veganer aus Gesprächen kennt.
Als Schotty schließlich behauptet, dass das Menschsein uns dazu berechtige, andere Tiere zu essen, verheddert er sich in seinem eigenen Argument. Kim stellt ihm die schlichte Frage, worin sich der Mensch von anderen Tieren unterscheide. Schotty scheitert grandios an dieser Aufgabe, wie es wohl den meisten Fleischessern geht, die einmal in die Situation kommen, über ihr Essverhalten zu reflektieren.
Ausgerechnet der aufrechte Gang fällt dem Tatortreiniger als erste Eigenschaft und muss diese Behauptung in dem Moment korrigieren, wie er sie ausspricht: Oder ist die im Rollstuhl lebende Kim kein vollwertiger Mensch? Schottys Weltbild gerät ins Wanken, nachdem er an den Kopf geworfen bekommt, dass es ebenso falsch wäre, einen Komapatienten zu essen, nur weil wir nicht wissen, ob dieser sich über seine eigene Situation bewusst ist. Deshalb tut Schotty das, was wohl viele Fleischesser in so einer Situation machen. Er bricht das Gespräch ab, verlässt schlagartig die Wohnung und noch während er die Tür zuknallt, entfährt ihm wütend der Satz: »Weil es eben schmeckt!«
Wie widersinnig unser Umgang mit Tieren ist, merkt Schotty, als ihm ein weiterer Nachbar auf dem Flur begegnet, der sich über Kims merkwürdige Art lauthals beschwert und nicht verstehen will, warum die Veganerin ihn angezeigt hat, nur weil er die Hamsterbabys seiner Kinder lebendig im Klo herunterspülte.
Schotty verteidigt Kim, weshalb es zwischen dem Nachbarn und dem Tatortreiniger zu einem Streit kommt. Die Tiere liebende Nachbarin hört dies, woraufhin sie und Schotty wieder ins Gespräch kommen – natürlich nicht ohne die Frage zu klären, warum es moralisch genauso absurd gewesen wäre, den Hamsternachwuchs in die Pfanne zu hauen. Am Ende lässt sich Schotty auf ein veganes Experiment ein, nur um Kim wieder mit ihrem Exfreund zusammenzubringen. Von ihm trennte sie sich, nachdem er aufflog, das er mit einem Kumpel regelmäßig heimlich in ein Steakhaus ging, obwohl er vorgab, auch Veganer zu sein.
Erneut beweist der Tatortreiniger näher an der Realität zu sein, als auf den ersten Blick ersichtlich ist: Eine – wenn auch nicht repräsentative - Studie der Partneragentur Gleichklang ergab 2013, dass 85 Prozent der teilnehmenden Veganer einen Partner mit gleicher Lebensweise bevorzugen.
Diese Folge, wie auch die gesamte Serie, überzeugt, weil sie innerhalb eines sowohl zeitlich als auch räumlich engen Raumes schafft, sich eines komplexen Themas zu widmen. Schotty ist Sympathieträger, weil er sich unvoreingenommen seinem Gegenüber zeigt, es sei denn, ihm begegnet bei seiner Arbeit, wie in der ersten Staffel, eine stramme Gruppe Neonazis. Der Tatortortreiniger sollte weiterputzen, vielleicht auch auf einem deutlich besseren Sendeplatz als im spätabendlichen Programm des NDR.
Die rezensierte Folge des Tatortreinigers gibt es in der ARD-Mediathek zu sehen.
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