Flüchtlingscamp in Kreuzberg wird nicht geräumt - vorerst

Wowereit: Sind an einer friedlichen Lösung interessiert / Gespräche gehen weiter / Henkel: Räumung am Ende trotzdem möglich

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Eine Räumung des Flüchtlingscamps in Berlin-Kreuzberg ist vorerst vom Tisch. Darauf verständigte sich der Koalitionsausschuss von SPD und CDU am Samstagabend in der Hauptstadt nach fast dreistündigen Beratungen. »Wir sind an einer friedlichen Lösung interessiert«, betonte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Anschluss. An einer Eskalation der Situation sei ihm nicht gelegen. Auch SPD-Landeschef Jan Stöß erklärte, Ziel sei eine friedliche Lösung, ohne Gewalt.

Zunächst solle es weitere Gespräche mit den Flüchtlingen unter der Federführung von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) geben. Innensenator Frank Henkel (CDU) schloss jedoch eine Räumung »am Ende der Diskussion« nicht grundsätzlich aus.

Mit der Einigung ist der Koalitionskrach vorerst beigelegt. SPD und CDU im Berliner Senat waren uneins im Umgang mit dem Flüchtlingscamp. Die Union wollte ursprünglich eine Räumung, die Sozialdemokraten lehnen einen Polizeieinsatz bislang ab. Nach den Worten von Henkel soll der Senat künftig regelmäßig dienstags über den aktuellen Stand der Verhandlungen informiert werden. Eine zeitliche Frist für die Gespräche gebe es nicht. Der Dialog solle die notwendige Zeit bekommen, unterstrich der Innensenator.

Bei einer möglichen Auflösung des Lagers wird mit Protesten und Ausschreitungen gerechnet. Dennoch sei die derzeitige Situation nicht dauerhaft haltbar, betonte Henkel. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sei weiter in der Pflicht, erklärte Stöß. Im Koalitionsvertrag hätten sich SPD und CDU dafür ausgesprochen, dass Berlin eine weltoffene Metropole sei.

Seit mehr als einem Jahr campieren Flüchtlinge auf dem Oranienplatz im Berliner Multikulti-Stadtteil Kreuzberg. Sie protestieren damit gegen die aus ihrer Sicht restriktive Flüchtlingspolitik in Deutschland und der Europäischen Union. Der Bezirk duldet das Camp. Henkel sprach dagegen immer wieder von »unrechtsmäßigen Zuständen« und wollte den Platz räumen lassen. Per Senatsbeschluss sollte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zu einem solchen Schritt angewiesen werden. Dazu kam es bislang nicht.

Am Dienstag dieser Woche erteilte Wowereit dem Vorstoß seines CDU-Innensenators eine Absage und mahnte stattdessen eine friedliche Lösung an. Henkels Plan sah für die Senatssitzung vor, einen Räumungsbeschluss zu fassen. Beobachter sprachen von einem eisigen Klima zwischen dem Regierungschef und seinem Koalitionspartner. Henkel hatte zuvor schon ein Ultimatum für eine Räumung ab dem 18. Januar gestellt.
Wowereit sprach am Samstagabend von einer sachlichen Atmosphäre im Koalitionsausschuss. Henkel nannte das Treffen konstruktiv, offen und unaufgeregt. »Wir werden weiter zusammenarbeiten«, unterstrich der Regierungschef.

Mittlerweile ist das Zeltlager auch Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Ein Anwohner war vor Weihnachten vor das Verwaltungsgericht gezogen. Die Richter befanden zwar, dass der Nachbar kein Recht auf Räumung des Camps habe. Sie rüffelten aber das Bezirksamt, das die Brandgefahr, »die Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs an der öffentlichen Grünanlage« am Oranienplatz und die Belastungen durch Geräusche und Rauch zu gering eingeschätzt habe. Das Gericht beauftragte deshalb den Bezirk, bis zum 20. Januar die Vorgaben zu überprüfen. epd/nd

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