Frankreich bricht Abschiebe-Rekord
Unter Präsident Hollande wurden allein im letzten Jahr 21 000 Roma ausgewiesen
Dramatisch, skandalös, ungeheuerlich: Philippe Goossens sucht nach Worten für seine Empörung. Er hat für die französische Liga für Menschenrechte den neuesten Bericht über die Situation der Roma in Frankreich verfasst und am Dienstag in Paris vorgestellt. Das Ergebnis ist tatsächlich schockierend: Noch nie wurden so viele Menschen der größten ethnischen Minderheit Europas aus Frankreich ausgewiesen. Mit über 21 000 Abschiebungen und 165 von der Polizei zerstörten Camps bricht die sozialistische Regierung unter Francois Hollande alle Rekorde. Die Roma wurden demnach im Schnitt mindestens einmal geräumt und abgeschoben - nicht wenige von ihnen mehrmals.
»Frankreich muss sofort mit dieser Politik aufhören. Damit unterlaufen wir internationale Verträge und zerstören das Leben von tausenden Frauen, Männern und Kindern«, so Liga-Vertreter Goossens. Dabei sei es für Frankreich kein Problem, die knapp 16 000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien dauerhaft zu integrieren: »16 000 gegenüber 65 Millionen - das ist ein Witz«, findet Goossens.
Die Verfasser der Studie, die Liga für Menschenrechte und das Europäische Roma Rights Centre, berufen sich auf das europäische Recht der Bewegungsfreiheit von EU-Bürgern. Ausgewiesen dürften danach nur Einzelpersonen, die gewissenhaft die öffentliche Ordnung des jeweiligen Landes störten - Massenabschiebungen seien hingegen unrechtmäßig. Zudem führten die Räumungen und Abschiebungen zu nichts, meinen Verfasser des Berichtes einhellig. Derzeit seien noch genauso viele Roma in Frankreich wie vor drei Jahren, da die Familien meist schlicht den Ort wechseln würden. Die Kosten für die Räumungsaktionen seien hingegen immens. Auch mit der Öffnung der Grenzen für den Arbeitsmarkt für Rumänien und Bulgarien am 1. Januar scheint sich nichts geändert zu haben: Seit Anfang des Jahres wurden allein drei Camps geräumt.
Von der neuen sozialistischen Regierung haben sich viele Roma-Verbände und Antiabschiebegruppen eine gemäßigtere Politik erhofft. Jedoch wurde schnell klar, dass dies ein großer Irrtum war: Erst im letzten September erklärte Innenminister Manuel Valls, die Roma sollten bitte nach Bulgarien und Rumänien zurückkehren, da sie in Frankreich aufgrund ihrer Lebensweise nicht willkommen seien.
Damit führt die Regierung Hollande die Roma-feindliche Politik des konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy weiter: Dieser war 2010 durch seine Abschiebungspolitik massiv in die Kritik geraten. Der ehemalige Immigrationsminister Eric Besson hatte vor drei Jahren eine Reihe von Reformen im Ausländergesetz erlassen, die eine Abschiebung insbesondere von EU-Bürgern erleichtern. Das sollte vor allem die Roma treffen. Allerdings wurden 2010 »nur« knapp 3000 und 2011 rund 8500 Roma abgeschoben - also insgesamt nicht einmal die Hälfte eines Jahres unter Hollande.
Die EU leitete inzwischen ein Verfahren gegen Frankreich wegen Massenabschiebungen von Minderheiten ein. Im letzten Moment hatte Frankreich dann eingelenkt und Besserung versprochen.
In Frankreich ginge die Gewalt vor allem von Polizisten aus, die in die Behausungen der Roma eindringen und sie bedrohen würden, so Adam Weiss, Direktor des Europäischen Roma Rights Centre. Bei den Räumungen setzen die Ordnungskräfte Tränengas ein - im Wissen, dass sich dort Kinder und Babys befänden. Anschließend würde dann regelrecht Jagd auf die Roma gemacht, um sie an einer Wiederansiedlung zu hindern.
Nicht nur in Frankreich ist die Situation für die Roma schwieriger geworden. Durch politische Schmähreden und rassistische Hetze würden die Roma vor allem in Osteuropa immer häufiger Opfer von Gewalt, warnt der Roma-Vertreter Weiss.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.