Die Troika darf so nicht weiterarbeiten

Der Europaabgeordnete Jürgen Klute über die verfehlte Krisenpolitik und Demokratiedefizite in der EU

  • Lesedauer: 5 Min.
Jürgen Klute (LINKE) ist im Europäischen Parlament Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, der derzeit die Arbeit der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) untersucht. Im Februar soll der Abschlussbericht vorliegen. Zur bisherigen Arbeit befragte ihn Katja Herzberg.

nd: Im Herbst hat der Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments eine Untersuchung der Arbeit der internationalen Gläubigertroika begonnen. Was ist das Ziel und warum findet sie jetzt statt?
Klute: Ziel ist es, sowohl die Wirkung der Troika-Maßnahmen zu untersuchen als auch den Prozess, in dem sie zustande gekommen sind. Der ist völlig intransparent verlaufen und ohne jede demokratische Legitimation und Kontrolle. Der Wirtschaftsausschuss hat schon früh damit begonnen, Gespräche mit den Troika-Mitgliedern zu führen. Im Frühjahr letzten Jahres gab es eine Delegation des Wirtschaftsausschuss nach Portugal. Deren Eindrücke haben die Kritik des Ausschuss an der Troika-Politik bestätigt. Es sind tiefgreifende Maßnahmen vorgenommen worden, die demokratischer Legitimation und Kontrolle bedürfen. Und die kann auf europäischer Ebene nur durch das Europäische Parlament erfolgen.

Es gibt bei diesem Thema eine fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Kann man aus dieser Tatsache ablesen, dass die Arbeit der Troika mehr als hinterfragt wird?
Eine Kooperation zwischen den Fraktionen ist im Europäischen Parlament nicht ungewöhnlich. Ausschlaggebend bei diesem Thema ist, dass das Parlament als einzig demokratisch legitimierte EU-Institution schlicht vom EU-Rat übergangen wurde. Der Rat bzw. die Euro-Gruppe haben die Austeritätspolitik auf den Weg gebracht und die Kommission als Instrument zur Umsetzung genutzt. Wären das europäische und auch die nationalen Parlamente beteiligt worden, wären die Ergebnisse ohne Zweifel andere gewesen. An dem Bericht zur Troika zeigt sich aber auch, dass das Europäische Parlament offensichtlich ein stärkeres demokratisches Bewusstsein besitzt als die nationalen Volksvertretungen. Denn dieser Bericht, so sagte mir der griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras kürzlich, hätte eigentlich von den Parlamenten in den Mitgliedsstaaten angestoßen werden müssen.

Was ist angesichts dieser Demokratiedefizite von der Forderung der griechischen Regierung zu halten, den IWF aus der Troika auszuschließen?
Der IWF spielt eine ambivalente Rolle. Die Kollegen in Portugal haben uns gesagt, dass er noch am stärksten auf Seiten der Mitgliedsländer gestanden hat. So war er flexibler in der Frage der Haushaltskürzungen und hätte sich auf längere Fristen eingelassen als die EU-Vertreter. Aber er ist keine europäische Institution und deshalb gegenüber dem Europäischen Parlament nicht rechenschaftspflichtig. Deshalb sollte er keine Rolle mehr in diesem Prozess spielen.

Sie waren in der letzten Woche bereits in Portugal und Zypern. Heute und morgen steht Irland an, Griechenland folgt Ende Januar. Wie lautet Ihre vorläufige Bilanz?
Wir haben in Portugal mit den wichtigsten amtierenden und ehemaligen Politikern, aber auch Vertretern der Wirtschaft und der Gewerkschaften gesprochen. Alle Beteiligten klagten über den starken Zeitdruck während der Verhandlungen mit der Troika. Unter dem Druck der großen EU-Länder blieb keine Zeit, das Parlament zu beteiligen. Es gibt nur eine Monitoringgruppe, die regelmäßig informiert wird, aber nichts mitentscheiden kann.

Die Troika hat vor allem Kürzungen der Staatsausgaben, der Löhne und der Renten durchgesetzt. In den Jahren vor der Krise hatte Portugal entsprechend den europäischen Anforderungen die Investitionen in Ausbildung, Schulen, Universitäten, in Innovation und in Forschung erhöht. Aber die Krise ist nicht das Ergebnis überzogener Staatsausgaben gewesen. Die Staatsausgaben sind erst wegen der Bankenkrise in die Höhe geschossen. Das haben uns die Politiker durchweg bestätigt. Nun kämpft Portugal - wie Zypern - mit hohen Zinsen und einer starken Kreditklemme.

Wie hat sich die Arbeit der Troika in Zypern ausgewirkt?
In Zypern kommt noch die enge Verknüpfung mit dem griechischen Bankensektor hinzu. Erst der Schuldenschnitt in Griechenland - das ist uns von allen Seiten gesagt worden - hat die Katastrophe in Zypern ausgelöst. Hinzu kam eine sehr schwache Bankenaufsicht. Das Hauptproblem in Zypern ist aber das »Bail in«, also die Beteiligung der Bankkunden an den Bankschulden. Infolge dessen haben nun russische Oligarchen die Bank of Cyprus unter ihrer Kontrolle. Und viele Menschen haben große Teile ihrer Ersparnisse verloren, die sie für ihre Alters- und Gesundheitsvorsorge sowie für die Ausbildung der Kinder angespart hatten. Denn in Zypern gibt es kein Sozialversicherungssystem wie in Deutschland.

Wie ist die Delegation in Portugal und Zypern empfangen worden?
Das Medieninteresse war sehr groß. Mit dieser Delegation ist die Hoffnung verbunden, dass die scharfen sozialpolitischen Ungleichgewichte nachträglich korrigiert werden. Positiv wurde bewertet, dass sich Mitglieder des Europäischen Parlaments für die Situation interessieren.

Was kann der Untersuchungsbericht bewirken?
Durch die Delegation und den Bericht wird politischer Druck erzeugt. Aber es wird eine harte politische Auseinandersetzung werden. Für die Linke bedeutet das eine große Verantwortung. Der kann sie aber nur gerecht werden, wenn sie nicht auf eine abstrakte Debattenebene flüchtet, sondern sich den konkreten Problemen und Forderungen der Menschen stellt, wie sie bei den Delegationen öffentlich werden.

Also wird der Bericht im anstehenden Wahlkampf von Bedeutung sein?
Nicht nur im Wahlkampf. Es bleibt die Frage, wie die EU künftig mit Krisen umgehen will. Die Gruppe der Berichterstatter ist der Meinung, die Troika darf in dieser Form nicht fortgesetzt werden. Es bedarf Methoden, die der Gemeinschaftsmethode entsprechen und demokratisch legitimiert sowie kontrolliert sind.

Bei aller Notwendigkeit von Reformen in den Krisenländern muss aber auch im Blick bleiben, dass die Hauptursache der jetzigen Krise in der Fehlkonstruktion der Währungsgemeinschaft liegt. Ohne eine stärkere sozial- und fiskalpolitische Integration - das erfordert Vertragsänderungen - ist sie nicht zu überwinden. Das Aufkaufprogramm der EZB ist bisher die einzige Maßnahme, die die Krise gestoppt hat. Aber ihre Auflösung ist es nicht. Die Rolle der EZB und vor allem des Europäischen Stabilitätsmechanismus’ steht ebenfalls zur Diskussion.

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