Referendum mit fragwürdiger Legitimität
Ägyptens Militär lobt sich für eine »Verfassung der modernen Zukunft« / Linke kritisiert Fehlen elementarer Rechte
Besonders viel hatten die Wahlhelfer in den vergangenen Tagen nicht zu tun. Kaffee und Tee trinkend harrte das Personal seiner Kundschaft; doch Warteschlangen gab es nur im Fernsehen: Kurz vor der Schließung der Wahllokale am Mittwochabend zeigten ägyptische Sender angebliche Live-Bilder von gerammelt vollen Wahllokalen.
Menschen sagten, mit Ja zu stimmen, sei ein revolutionärer Akt; zwischendrin erklärte ein Moderator: »Heute bauen sie die Zukunft für die gesamte Menschheit.« Doch tatsächlich herrschte zumindest in einigen der gezeigten Wahllokale ebenfalls gähnende Leere während der zweitägigen Abstimmung über Ägyptens neue Verfassung.
Gerade mal 38 Prozent Wahlbeteiligung haben Nachrichtenagenturen mit Hilfe der wenigen zuverlässigen Daten, die es gibt, hochrechnen lassen - mehr als die gerade mal 33 Prozent beim Verfassungsreferendum Ende 2012 und weniger als die 41,9 Prozent bei der Abstimmung nach der Absetzung von Präsident Husni Mubarak im Jahr 2011.
Eine Zahl, über die man im Innenministerium nichts sagen will. Ein Sprecher erklärt sie zur »Agitation ausländischer Mächte, die Ägypten destabilisieren wollen«. Lieber verweist er auf das Ergebnis, dass man hier bereits zu kennen glaubt, obwohl die Stimmenauszählung noch bis zum Wochenende dauern wird: Mehr als 90 Prozent aller Wähler hätten für die Verfassung gestimmt. Und Ahmed Ali, Sprecher des Militärs, dem durch die Verfassung Superkräfte verliehen werden sollen, feierte das Ergebnis sogar noch vor dem offiziellen Abstimmungsende am Mittwochabend als »haushohes Votum für die neue Ordnung« und erklärte dann: »Die Ägypter waren das erste freie Volk in der Geschichte der Menschheit, und nun haben sie die Welt einmal mehr überrascht, indem sie zusammen arbeiten, um eine moderne Zukunft aufzubauen.«
Doch tatsächlich wurde die Abstimmung nicht nur von den Anhängern der Muslimbruderschaft und des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi boykottiert. Auch viele linke Parteien und freie Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen, der Wahl fernzubleiben. Die Muslimbrüder bestreiten die Legitimität der Abstimmung. Der gewählte Präsident sei Mohammed Mursi, und die gültige Verfassung die vom Dezember 2012. Bei Demonstrationen der Muslimbruderschaft kamen im Laufe der beiden Abstimmungstage mindestens 13 Menschen ums Leben; mindestens 460 wurden fest genommen.
Bei den Linken und den Gewerkschaften kritisiert man derweil einstimmig, der Entwurf für die neue Verfassung missachte elementare demokratische Rechte, wie beispielsweise das Recht zu streiken; die Rechte, die von der Verfassung garantiert werden sollen, wie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, könnten von der Regierung nach eigenem Gutdünken einfach per Gesetz wieder eingeschränkt oder gar ganz abgeschafft werden. Ahmed Bahaa al-Din Schaaban, Vorsitzender der Sozialistischen Partei Ägyptens, sagt, schon das Referendum werde in einem »Klima der Angst« durchgeführt; wer mit Nein stimme, müsse mit Repressalien rechen.
Tatsächlich wurden an mehreren Orten Wähler festgenommen, die mit Nein gestimmt haben sollen, melden Wahlbeobachter. Der Geschäftsführer einer großen Kairoer Anwaltskanzlei berichtet von insgesamt 37 Fällen, die von seinem Unternehmen vertreten werden. Zugang zu den Betroffenen, wie ihn die neue Verfassung nach spätestens 24 Stunden vorschreiben soll, habe man übrigens nicht bekommen.
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