Der deutsche Yasukuni-Schrein
Die 100-Millionen-Euro-Kopie der Potsdamer Garnisonkirche und der Einfluss von (einfluss)reichen Minderheiten. Von Wolfram Meyerhöfer
Architektur ist immer politisch: Jedes Bauwerk deutet einen Raum. Ein Bauwerk kann aus einem Stadtraum eine optische Kloake machen oder einen Rosenhain. Wird ein Bauwerk mit öffentlichen Geldern gebaut, dann tritt zum ästhetischen Diskurs der merkantile hinzu. Und wenn ein Gebäude nachgebaut werden soll, dessen Symbolgehalt so massiv war, dass Hitler und Hindenburg sich gerade in diesem Gebäude 1933 öffentlich verbrüdern wollten, dann tritt ins öffentliche Bewusstsein, dass jedes Bauwerk auch eine Deutung der Geschichte eines Ortes ist.
Als Walter Ulbricht die Ruine der Garnisonkirche in Potsdam 1968 sprengen ließ, erbrachte er einen geradezu exemplarisch »barbarischen« Akt, wenn Barbarei die Zerstörung der Symbole des Gegners ist. Kirche, Militarismus und Nationalismus und Nationalsozialismus hatten sich in Potsdam einzigartig amalgamiert. Dass heute die Garnisonskirche als Symbol wiedererrichtet werden soll, führt zu aufschlussreichen Verwerfungen - denn alle haben sich verändert und passen in gewisser Weise nicht mehr recht zusammen.
Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs wurde die Garnisonkirche im April 1945 weitestgehend zerstört. Die Überreste standen noch bis 1968, dann stoppte die DDR-Regierung die in den 1960er Jahren begonnenen Bemühungen zum Wiederaufbau. Auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung wurde das Kirchengebäude gesprengt.
2005 wurde der Grundstein für den Wiederaufbau der Kirche gelegt. Getragen wird das Projekt von einer Stiftung, die allerdings die nötigen Finanzmittel nicht wie geplant mittels Spenden aufbringen kann. Die eigentlichen Bauarbeiten haben noch nicht begonnen. 2011 wurde lediglich eine provisorische Kapelle auf dem Gelände errichtet. Bis zum 500. Jubiläum der Reformation 2017 soll allerdings der Turm der Garnisonkirche errichtet sein. nd
Es gibt zur Garnisonkirche seit langem einen intensiven Diskurs der Potsdamer Bürgerschaft. In diesem Diskurs zeigt sich, dass es nur eine - gleichwohl reiche bzw. einflussreiche - Minderheit ist, die den Nachbau der Kirche möchte. Da ist zum einen der alte reiche Westdeutsche, dessen Oma immer vom alten Potsdam geschwärmt hat. Er zog nach der Wende nach Potsdam, »weil es hier noch so viele Möglichkeiten gibt« - die er dann konsequent beseitigt hat. Zum anderen ist es die evangelische Funktionärselite, die es nach der Wende verstanden hat, sich als einzig saubere und gleichzeitig kompetente Ost-Gruppierung an zentralen Schaltstellen zu positionieren.
Die Mehrheit der Bürger spürt, dass die Errichtung einer Garnisonkirchkopie Ungutes in sich birgt. So landete z.B. die Forderung »Kein städtisches Geld für den Aufbau der Garnisonkirche« mit einer Rekordpunktzahl auf dem Spitzenplatz auf der »Liste der Bürgerinnen und Bürger« im Potsdamer Bürgerhaushalt. Die Kopisten hatten die Bürger immer damit beruhigt, dass die Kopie ausschließlich aus Spendengeldern finanziert werden sollte. Die flossen aber nicht. Eine SPD-CDU-Grünen-Koalition in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung schenkte daraufhin den Kopisten das Grundstück und finanziert diverse Baufeldfreimachungen. Bislang hatte die Mehrheit ein einfaches Mittel, ihre Position gegen die Minderheit durchzusetzen: sie hat einfach nicht für das Projekt gespendet. Es war abzusehen, dass es nicht gelingen wird, die notwendigen Mittel zu beschaffen. Im Sommer letzten Jahres teilte der damalige CDU-Kulturstaatsminister Bernd Neumann mit, dass 2014 und 2015 jeweils sechs Millionen Euro für die Kopie der Kirche vom Bund bereitgestellt werden sollen, denn in Potsdam würde »ein national bedeutsames Bauwerk wiederhergestellt«.
Hier wird aber kein Bauwerk wiederhergestellt. Es wird eine Kopie eines Bauwerks errichtet. Eine solche Kopie protokolliert nicht - wie das Original - das monarchische Denken des 18. Jahrhunderts und den Umgang mit diesem Denken in der Zeit danach. Eine Kopie aus Bundesmitteln protokolliert, wie die Herrschenden des 21. Jahrhunderts über das monarchische Denken des 18. Jahrhunderts denken oder fühlen. Es protokolliert eine positive Hinwendung zu diesem monarchischen Denken, es protokolliert Nichtachtung gegenüber dem Original und es protokolliert städtebauliche Einfallslosigkeit sowie Angst vor einer Deutung städtischer Räume durch Architektur.
Dass Kopien die Aura des Originals auch in der Architektur nicht wiederauferstehen lassen, sieht man sehr schön an der bereits errichteten Kopie des Potsdamer Stadtschlosses. Es atmet nichts von den alten Preußen, sondern hier zeigt einfach ein Landesparlament, dass es keinen Mut hatte, die Idee des Parlamentarismus architektonisch zu deuten. Die Kopie sorgt allerdings dafür, dass es dem Stadtnutzer schwer gemacht wird, diese Geschichte zu »lesen«: In 50 Jahren kann der uninformierte Gast denken, dass hier einstmals ein Parlament ein Schloss erobert hat. Wenn er dann die wahre Geschichte erzählt bekommt, dann wird er gefoppt sein wie jemand, der im Kreismuseum von Prenzlau vor einer Kopie der Mona Lisa steht und vor Rührung weint bis ihm jemand erklärt, dass es nicht das Original ist. Es ist recht einfach, uninformierte Rezipienten mit Kopien zu betrügen, aber das heißt eben immer auch, dass man die Menschen intellektuell nicht ernst nimmt.
Nachbaugegner verweisen darauf, dass die Garnisonkirche der Ort der Verbrüderung der deutschen Konservativen mit den Nationalsozialisten war. Sie fürchten die Entstehung eines Wallfahrtsortes für Neonazis. Das würde aber heißen, dass die Aura des Originals auf die Kopie übergehen könnte. Es müsste quasi in der Kopie der Geist von Friedrich Wilhelm oder von Hitler auferstehen. Mir scheint, dass das nicht funktionieren kann, weil das Gebäude, in dem diese Personen gebetet haben, anderswo als Baustoff eingearbeitet ist. Die Garnisonkirch-Kopie wird auch kein Ort für die Freunde Preußens mit seinen Licht- und Schattenseiten, sondern für die Freunde einer bestimmten Projektion von Preußen. Diese Leute könnten nicht kommen, sie sind schon da. Wenn konservative Deutschnationale sich mit konservativen Reichen, mit evangelischen Kirchenfunktionären und mit Politikern gegen die Bürgerschaft verbünden, dann schaffen sich eben genau diese Bündnispartner. Ich bin nicht so sicher, ob Neonazis da aufsatteln können. Vielleicht passt gerade die Komplexität der Machtübergabe an Hitler gar nicht in ihr Weltbild, weil sie lieber glauben wollen, Hitler wäre durch eine Mehrheit an die Macht gekommen. Sicher bin ich aber, dass die deutschnationalen Wiederaufbauer unserer Demokratie eher abgewandt sind. Hier droht eher ein deutscher Yasukuni-Schrein, also ein Wallfahrtsort für Ultrakonservative und Militaristen.
Der dadurch entstehende Konflikt mit den evangelischen Kirchenfunktionären und manchen der beteiligten Politiker mag noch unter der Oberfläche bleiben, solange man eine gemeinsame Front gegen die Bevölkerungsmehrheit bilden muss. Spätestens dann aber, wenn die Kirche am Ort ernsthaft versuchen sollte, wie behauptet ein Versöhnungszentrum einzurichten, wird der Konflikt aufbrechen. Die evangelische Kirche wird zerrieben werden zwischen ihrem Wunsch, ein Versöhnungszentrum zu schaffen, und der dazu nicht passenden Hülle einer Garnisonkirch-Kopie.
Die einzige Auflösung besteht darin, die Idee des Versöhnungszentrums auch architektonisch ernst zu nehmen. Dazu gehört ein Architekturwettbewerb, der der Form des Gebäudes weitgehend freie Hand lässt. Die Architekten würden die Funktion der Versöhnung zum Ausgangspunkt nehmen und den jetzt vorhandenen Stadtraum deuten. Die Garnisonkirche würde dabei einerseits in vielerlei Zitaten und Strukturideen auftauchen, andererseits würde die Negierung des Militärischen durch das Versöhnen eben auch zu architektonischen Negierungen führen. Zudem würde dies ein Bau, der viele Jahrzehnte auf seine Vollendung warten wird. Er muss also in separat realisierbaren Segmenten geplant werden, die ein organisches Wachstum des Baus über mehrere Generationen von Spendern hinweg ermöglicht.
Brandenburg hat mit dem wiederaufgebauten Postdamer Stadtschloss ein Parlamentsgebäude, das den Parlamentarismus zu verstecken versucht. Brandenburg sollte nicht auch noch ein Versöhnungszentrum kriegen, das das Militär zum Kristallisationspunkt seiner Identität macht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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