Wir haben Nutztierhaltung satt!

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Samstag demonstrieren Tausende auf der »Wir-haben-es-satt« Demo gegen die derzeitige Agrarpolitik. Sollten sich Veganer dem Protest anschließen, obwohl die Bewegung nicht auf Fleisch verzichten will?

An der Front für eine biologische Landwirtschaft und mehr Tierrechte tut sich derzeit wenig – darüber kann auch die am Sonnabend stattfindende Großdemonstration gegen die Agrarindustrie in Berlin kaum hinwegtäuschen. Zum inzwischen vierten Mal treffen sich Tausende grüne Landwirte, Gentechnikgegner, Tierschützer und andere Akteure der Öko-Bewegung vor dem Kanzleramt, während die Kanzlerin vermutlich nicht einmal »daheim« sein dürfte. Obwohl die Bio-Nachfrage beständig steigt, steht die Bewegung vor allerlei Schwierigkeiten. Grün ist Trend, doch schon länger gibt es Probleme, genug Landwirte davon zu überzeugen, auf Bio umzustellen und langfristig der konventionellen Landwirtschaft abzuschwören. Von der Großen Koalition und dem CSU-geführten Landwirtschaftsministerium darf in dieser Frage kaum eine richtungsweisende Entscheidung erwartet werden – insofern ist es schon allein deshalb richtig, dass am Samstag die Traktoren durch Berlin rollen.

Umso ärgerlicher ist es, dass die Bewegung seit Jahren gespalten ist. Dabei finden sich auf der Liste der unterstützenden Organisationen bekannte Gruppen wie der BUND, Attac, Oxfam, der Bioverband Demeter sowie der Deutsche Tierschutzbund und Nabu. Womit wir uns bereits mitten im Dilemma befinden: Die drei letztgenannten haben – wie zum Teil der Name ahen lässt – das Thema Tierschutz ganz weit oben auf ihrer Agenda stehen. Doch mit Tierschützern und Tierrechtler, verhält es sich in etwa so, wie mit Sozialdemokraten und Sozialisten. Während die Einen das System nur reformieren und lebenswerter gestalten wollen, geht es den Anderen um einen Systemwechsel. Wohl auch deshalb fällt es vielen Tierrechtler und Veganern schwer, sich dem Protest am Samstag anzuschließen. Was soll jemand mit einer Bewegung anfangen, die an der Nutztierhaltung festhalten will, obwohl man selbst den Konsum tierischer Produkte und die Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere ablehnt?

An dieser Stelle irrt sich übrigens Albert-Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt, deren Logo sich interessanterweise auf der Unterstützerliste findet, obwohl die Vereinigung für eine vegane Lebensweise eintritt. Die Teilnahme begründet die Organisation auf ihrer Webseite: »Die Demo richtet sich bewusst allgemein gegen die Agrarindustrie, ohne zu versuchen, einheitliche Forderungen aufzustellen, denn die TeilnehmerInnen haben so unterschiedliche Hintergründe, dass das kaum möglich wäre.« Ganz richtig ist diese Begründung nicht: Der Aufruf zu »Wir-haben-es-satt« enthält durchaus sehr konkrete Forderungen. So heißt es unmissverständlich »Artgerechte Tierhaltung ohne Antibiotika-Missbrauch! Stoppt die Megaställe!« und eben nicht »Artgerecht ist nur die Freiheit! Stoppt die Tierhaltung«. Doch genau diese Passage dürfte es sein, weshalb Tierrechtler und insbesondere politische Veganer wohl nur in Ausnahmefällen zu einer Teilnahme an der Großdemo aufrufen.

Weshalb es ratsam ist, noch einmal die anfangs erwähnte Analogie aufzugreifen: Einer der wohl größten Fehler der Linken ist es seit Jahrzehnten, eher mit sich selbst als gegen den gemeinsamen und klar erkennbaren Gegner zu kämpfen – in diesem Fall die milliardenschwere Agrarindustrie. Exakt an diesen Spagat versucht sich auch die Albert-Schweitzer-Stiftung. Der Verein stellt klar, dass er hinter den »reformerischen Forderungen der meisten anderen Teilnehmer-Organisationen« steht, darüber hinaus aber auch »grundsätzliche Fragen« im Bereich Tierhaltung und Landwirtschaft stellt. Optisch will die Stiftung dies auch am Samstag deutlich machen.

Es wäre ratsam, wenn auch andere Veganer und Tierrechtsorganisationen diesem Vorbild folgen, denn die Zahl starker Unterstützer für eine Agrarwende ist leider überschaubar, für eine Wende in der Landwirtschaft ohne Tierleid sogar noch viel geringer. Deshalb bringt es nicht viel, sich voneinander abzugrenzen, wenngleich der Kompromiss nicht darin besteht, von der eigenen Position abzurücken. Was beide Bewegungen eint, ist die Kritik an einer industriellen Landwirtschaft, die zu viele Schäden an der Natur verursacht. Niemand der Beteiligten Demonstranten sollte etwas dagegen sagen, wenn es am Samstag auf einigen Transparenten heißt: »Wir-haben-die-Agrarindustrie-und-die-Nutztierhaltung-satt!«

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