Das Leben ist eine Baustelle
Ein Mieter aus Friedrichshain schildert schikanierende Modernisierungspraktiken
Schutt, alte Balken und Staub. Rumms! Wieder fällt ein Türrahmen aus dem vierten Stock in den Hof. Mathias Behnis steht fassungslos im Hinterhof seiner Wohnung in der Seumestraße 2 in Friedrichshain. »Bald ruf ich die Polizei«, sagt er ärgerlich. Seine beiden Fahrräder, die er im Hof abgestellt hat, sind bereits halb unter dem Schutt begraben. Den beiden Bauarbeitern bedeutet er, dass dies auch seine Fahrräder seien, doch die verstehen ihn nicht. Mit ein paar Brocken Englisch kommt schließlich doch eine Verständigung zustande. »Your bicycle? Yes, yes, I understand!«
Seit rund 15 Jahren wohnt Behnis hier. Jahrelang haben der Besitzer und die Hausverwaltung so gut wie nichts am Haus gemacht. Der Putz bröckelt, die Haustür rostet, in den Wohnungen heizen die Mieter mit Kohle ihre Kachelöfen. »Die Elektroleitungen sind so marode, dass sie sich schon fast auflösen«, sagt Behnis. In seiner Wohnung hat er viel in Eigenregie modernisiert. Im Bad hat er Badewanne, Waschbecken und Fliesen einbauen lassen, die alten Dielen hat er selbst abgeschliffen.
Dass am Haus was gemacht werden muss, ist auch Behnis klar. Doch als er im Herbst 2012 eine Modernisierungsankündigung erhielt, traf ihn fast der Schlag: Seine Miete sollte sich nach der Modernisierung fast verdreifachen. Momentan zahlt er monatlich 250 Euro Kaltmiete, nach der Sanierung sollten es 627 Euro sein. Hinzu kommen steigende Betriebskosten. »Irgendwas zwischen 850 und 1000 Euro« vermutet er als künftige Warmmiete. Das könne er sich als Student aber nicht leisten.
Nach Auskunft von Wiebke Werner vom Berliner Mieterverein können elf Prozent der Modernisierungskosten jährlich vom Vermieter umgelegt werden: »Da gibt es keine Obergrenze. Je höher die Modernisierungskosten, desto höher steigen die Mieten. Da müssen Obergrenzen eingeführt werden, denn diese Rechtslage können Vermieter schon mal zur Entmietung nutzen.«
Als Behnis sich weigerte, die Modernisierung zu akzeptieren, erhielt er eine 25-seitige Klage auf Duldung der Modernisierung von seinem Hausbesitzer, der Siganadia GmbH. Behnis nahm sich einen Anwalt. »Das ist eine Firma von Gijora Padovciz, der hat keinen guten Ruf, was seinen Umgang mit Mietern betrifft«, so der Mieter. Auch andere Mieter, die die Modernisierungsankündigungen so nicht akzeptieren wollten, wurden verklagt.
Padovicz soll mehrere Hundert Häuser in Berlin besitzen. Er handelt mit Hilfe unterschiedlicher Firmen der Unternehmensgruppe Padovicz. U.a. Berlin Projekt, Gilon, Giwola oder eben Siganadia. Mehrere Häuser hat er mit Geldern des Programms Soziale Stadt modernisiert. Darunter auch einige ehemals besetzte und nun gemeinschaftlich alternativ bewohnte Häuser in Friedrichshain. Laut einem Senatspapier hat er über 16 Millionen Euro Fördergelder aus dem mittlerweile ausgelaufenen Programm Soziale Stadt erhalten. Auch mit Hilfe von Fördergeldern aus dem Wohnraumförderungsgesetz modernisierte Padovicz.
Allerdings soll er sich in der Folge nicht immer an die daran geknüpften Mietobergrenzen gehalten haben. So erhöhte er beispielsweise in der Simplonstraße 15/17 die Nettokaltmiete auf bis zu 8,50 Euro pro Quadratmeter, erlaubt gewesen wären 4,84 Euro. Nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts sollte er 160 000 Euro zurückzahlen. Ein Urteil, das aber noch nicht rechtskräftig ist. Eine ganze Reihe ähnlicher Verfahren gegen Firmen der UG-Padovicz seien anhängig, heißt es aus dem Bezirksamt. Obwohl in der Seume- straße noch rund zehn Wohnungen bewohnt sind, hat der Besitzer nun mit der Modernisierung begonnen.
»Morgens um sieben wurden in der Nachbarwohnung die Öfen rausgerissen. Da stehst du senkrecht im Bett«, berichtet Behnis. Den Hof könne er aus Sicherheitsgründen quasi nicht mehr betreten, die Haus- und Kellertüren könnten nicht mehr geschlossen werden. »Mittlerweile fühle ich mich hier ziemlich unsicher. Jeder kann doch mittlerweile ins Haus rein. Ich habe Angst, dass irgendwann irgendjemand in meiner Wohnung steht. Ich weiß gerade nicht, was ich machen soll.«
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