Politiker-Sperrzone aufgehoben

Kandidaten dürfen nun auch im Wahlkampf-Endspurt in Niedersachsens Klassenzimmer

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Vier Wochen vor Wahlen waren Niedersachsens Schulen bislang für Politiker tabu. Den entsprechenden Erlass hat die rot-grüne Koalition jetzt im Landtag gekippt. Unterstützt wurde sie von der FDP.

Ist es ein Stück politischer Bildung oder Jagd um Stimmen, wenn Politiker kurz vor einer Wahl in Niedersachsens Schulen zu Diskussionen auftauchen? Junge Menschen seien sehr wohl in der Lage, Information von Indoktrination zu unterscheiden, betonte Ina Korter, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion am Mittwoch im Landesparlament in Hannover. »Schüler sind ganz empfindlich,wenn sie fühlen, dass sie jemand beeinflussen will.« Nichts spreche dagegen, wenn sie kurz vor der Wahl den Kandidaten »auf den Zahn fühlen«. Deshalb sei es geboten, das in vergangenen Regierungszeiten verhängte vierwöchige Schulverbot für Politiker aufzuheben.

Bedenken, künftig würden zur Wahlkampfzeit auch extremistische Propagandaleute in die Klassenzimmer wollen, etwa Kandidaten der NPD, räumte Korter aus. Denn Kleinstparteien, deren Wahlergebnisse unbedeutend waren, können von Diskussionen im Schulgebäude ausgeschlossen werden. Damit verstoßen die Schulen nicht gegen ihre Neutralitätsverpflichtung. Rechtsexperten des niedersächsischen Landtages hätten dies bestätigt.

Von Abgeordneten einmal persönlich erfahren, welche Aufgaben und Befugnisse sie haben: Diese Möglichkeit solle den Schülerinnen und Schülern auch direkt vor den Wahlen geboten werden, unterstrich Christoph Bratmann (SPD). In der »heißen Phase« des Wahlkampfes sei ein solcher Kontakt zu den Parlamentariern doch besonders interessant, sei lebensnaher Politikunterricht. »Politisch mündige Menschen zu werden, das lernt man nicht beim Schreiben von Klassenarbeiten«, sagte Bratmann.

Kritische, womöglich unangenehme Fragen junger Menschen zu Wahlversprechen, und das unmittelbar vor einer Wahl: Diese Aussicht bereitet der CDU offenbar Unbehagen. Die Unionsabgeordnete Karin Bertholdes-Sandrock verteidigte das Vierwochen-Tabu und meinte: Bei vielen Bürgern falle die Wahlentscheidung erst kurz vor der Stimmabgabe. Den »Kampf um diese letzten Stimmen« solle man aus den Klassenzimmern heraushalten. Unrealistisch sei die Annahme, Politiker wollten bei einem Auftritt in Schulen keine Wähler gewinnen.

Schützenhilfe von ihrem kleinen Oppositionspartner blieb der CDU versagt. Im Gegenteil: Björn Försterling, Bildungsexperte der FDP, unterstützte den rot-grünen Antrag, die bisherige Regelung abzuschaffen, kurz und knapp: »Warum nicht?! Begeistern wir die Schüler für Politik.«

Wenn Schulen künftig zu politischen Diskussionen während des Wahlkampf-Endspurts einladen, dürfte auch die LINKE kommen, die seit der letzten Landtagswahl und dem Regierungswechsel nicht mehr im Parlament sitzt. »Wir begrüßen die neue Regelung«, betonte der Landesvorsitzende der Partei, Manfred Sohn, im Gespräch mit »nd«. Politik gehöre sehr wohl in die Schulen. Es sei wünschenswert und zu fördern, dass sich junge Menschen eingehend mit der Wahl befassen, mit einem Element, »dem im parlamentarischen System höchste Bedeutung zukommt«. Wenn die CDU Diskussionen im Vorfeld einer Wahl verhindern wolle, dann zeuge das von einem merkwürdigen Demokratieverständnis.

»Politische Werbeveranstaltungen« dürfe und werde es auch künftig in Schulen nicht geben, unterstrich Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) jetzt im Landtag. Doch es sei ein wesentlicher Beitrag zur politischen Bildung, wenn sich Schüler auch kurz vor einer Wahl umfassend informieren und das Gehörte kritisch bewerten.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.