Freiheit für ukrainische Neonazis?

Extreme Rechte kämpfen bei den Auseinandersetzungen in Kiew in der ersten Reihe

  • Tomasz Konicz
  • Lesedauer: 3 Min.
Anhänger der neofaschistischen Partei »Swoboda« geben bei den derzeitigen Auseinandersetzungen in Kiew den - zunehmend auch antisemitischen - Ton an.

Die jüdische Gemeinde der Ukraine schlägt Alarm: Es sei eine »traurige Entwicklung« vom Demokratiestreben zu »Ultranationalismus und Antisemitismus«, die die ukrainische Protestbewegung kennzeichne, warnte Oleksandr Feldman, Präsident des Ukrainischen Jüdischen Komitees, am 13. Januar. Neofaschistische Kräfte wie die »grotesk fehlbenannte« Partei »Swoboda« (Freiheit) gäben inzwischen bei Kundgebungen und Auseinandersetzungen in Kiew den Ton an, doch die anderen Oppositionsparteien weigerten sich noch immer, die Allianz mit den Rechtsextremen zu beenden. »Swoboda« - deren Mitglieder maßgeblich an der Schleifung der Leninstatue in Kiew beteiligt waren - werde stattdessen innerhalb der Opposition als »essenzieller Partner« gesehen.

Feldman berichtete von einer widerlichen antisemitischen Aufführung während der Neujahrsfeiern der Opposition beim »Euromaidan«, wo auf der zentralen Bühne vor Hunderttausenden Zuschauern das antisemitische Stereotyp des raffgierigen jüdischen Bankers unwidersprochen reproduziert wurde. Am Tag danach zogen rund 15 000 Rechtsextreme durch Kiew, um in einem gespenstisch anmutenden Fackelzug des Nationalisten und Nazikollaborateurs Stepan Bandera zu gedenken. Banderas faschistische Milizen haben am deutschen Überfall gegen die Sowjetunion teilgenommen, sie waren an Massenmorden an der jüdischen Bevölkerung der Ukraine und an antipolnischen ethnischen Säuberungen beteiligt. Einige der Demonstrationsteilnehmer trugen dabei Uniformen der von den Nazis aufgestellten ukrainischen SS-Division »Galizien«, während sie »Tod unseren Feinden« brüllten.

Den Parolen folgten erste antisemitische Taten: Am 11. Januar wurde ein jüdischer Hebräischlehrer beim Verlassen seiner Synagoge von Unbekannten mit messerbewehrten Springerstiefeln zusammengetreten. Talmudschüler setzten bei nächtlichen Auseinandersetzungen einen Neonazi fest, der genaue Pläne der Umgebung ihrer Talmudschule mit sich führte.

Auch an der Gewalteskalation seit dem 19. Januar, als Demonstranten erneut Parlaments- und Regierungsgebäude zu stürmen versuchten, waren Neonazis führend beteiligt. Laut BBC Ukraine bildeten Aktivisten des neuen Nazinetzwerks »Prawyj Sektor« (Rechter Sektor), in dem sich Stiefelfaschisten und rechtsextreme Fußballhooligans sammeln, die Speerspitze der militanten Angriffe gegen Polizeieinheiten. In sozialen Netzwerken riefen Aktivisten des »Prawyj Sektor« zu Spenden von »Zwillen, Baseballschlägern, Stahlkugeln, Laserpointern, Benzinflaschen, Ketten und Pyrotechnika« auf, berichtete der US-Sender Radio Free Europe. Am 22. Januar kündigte Andrej Tarasenko, Koordinator des Neonazinetzwerks, im Fall einer Räumung des Demonstrationscamps einen »Bürgerkrieg« in der gesamten Ukraine an.

Indes stellt die in der ersten Reihe in Kiew kämpfende extreme Rechte eher ein Symptom der tiefen Spaltung der Ukraine dar. »Swoboda« und ihr Führer Oleg Tjagnibok, der die Ukraine von einer »russisch-jüdischen Mafia« regiert sieht, haben ihre Erfolge bei der Parlamentswahl 2012 ausschließlich im Westen des Landes errungen, im Zentrum und im Osten blieben sie marginalisiert. Diese Spaltung kommt auch in der Geschichtspolitik zum Ausdruck: Während im Westen die ukrainische SS-Division »Galizien« rehabilitiert wird und immer neue Bandera-Denkmäler entstehen, ließ Präsident Viktor Janukowitsch den Titel »Held der Ukraine« Bandera wieder aberkennen, der ihm von Amtsvorgänger Viktor Juschtschenko verliehen worden war.

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