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Ausstieg aus der Crystal-Welt

Therapie und Bildung - eine Entzugsklinik im Erzgebirge geht neue Wege

  • Ralf Hübner, Großrückerswalde
  • Lesedauer: 4 Min.
Die schnell abhängig machende Droge Crystal ist in Sachsen auf dem Vormarsch. Die Einsteiger werden immer jünger. Eine Entzugsklinik im Erzgebirge verbindet deshalb Therapie und Bildung.

Walter will Konditor werden - wenn der 18-Jährige erstmal seinen Drogenentzug in der Klinik »Alte Flugschule« im entlegenen Großrückerswalde im Erzgebirge hinter sich hat. Das ist eine von bundesweit wenigen Kliniken, in der berufliche und schulische Bildung und Therapie Hand in Hand gehen. »Die Patienten sind motivierter. Sie haben endlich wieder Erfolge«, sagt Klinikchef Uwe Wicha. Und sie wüssten, dass sie abstinent bleiben müssen, falls sie weiter erfolgreich sein wollten.

Walter stammt aus der Nähe von Halle, in Wirklichkeit heißt er anders. Der schmächtige junge Mann mit kurzen, blonden Haaren und blauen Augen ist ein Opfer der Droge Crystal, deren Verbreitung vor allem in Sachsen und Bayern stark zugenommen hat. Die von Sachsens Polizei sichergestellte Menge stieg laut Innenministerium in den Jahren 2008 bis 2012 von 2,1 auf 7,7 Kilogramm. »Crystal hat Heroin als Hauptdroge abgelöst«, erläutert Wicha. »Es ist leicht zu beschaffen, relativ preiswert und passt zur Jugendkultur.« Dabei gehe es weniger um rauschhafte Erlebnisse. »Mit Crystal halten Partygänger länger durch. Man wird nicht müde, ist wie aufgedreht, hat keinen Hunger und keinen Durst.« Die Kehrseite: Das Gefühl für Risiko und Zeit gehe verloren. Wenn die Wirkung nachlasse, plagten die Betroffenen Erschöpfungszustände, Nervosität, Unruhe.

»Ich litt an Verfolgungswahn, Depressionen, dachte an Selbstmord und wog nur noch 40 Kilo«, erzählt Walter. In einer Disco - da war er gerade 16 - hatten zwei Freundinnen Crystal dabei. »Anfangs bin ich mit einem Gramm ein bis zwei Wochen hingekommen, später waren es nur noch drei bis vier Tage.« Rund 300 Euro habe er dafür monatlich gebraucht.

Walter schmiss die Bäckerlehre, ging nicht mehr zum Handballverein, brach in Garagen ein. Er stahl, wurde aber nicht erwischt. »Ich habe alles vergessen und dachte nur noch, wie ich an Drogen komme.« Crystal sei auf fast jeder Jugendparty zu haben. Als die Mutter schließlich drohte, ihn wegen der Sucht aus der Wohnung zu werfen, ging er zum Arzt. »Ich hätte nicht gewusst, wo ich hin soll.« Laut Innenministerium wird Crystal von Konsumenten jetzt in kleinen Mengen in der Tschechischen Republik gekauft oder von Banden über die Grenze gebracht. In Sachsen selbst werde Crystal kaum produziert, hieß es. Wegen der guten Verfügbarkeit und des Preisverfalls in der Tschechischen Republik - ein Gramm koste dort auf Asia-Märkten zum Teil weniger als 20 Euro - mache die Produktion in Sachsen derzeit wirtschaftlich keinen Sinn. Zudem sei die Beschaffung des Grundstoffes Ephedrin in der Bundesrepublik schwieriger als in Tschechien. In Sachsen soll nun eine Arbeitsgruppe der Ministerien für Inneres, Soziales, Kultus und Justiz einen Plan zur Bekämpfung der schnell abhängig machenden Droge vorlegen.

Die 60 Plätze in der »Alten Flugschule« auf einem ehemaligen Rittergut seien stets ausgebucht, sagt der 51-jährige Klinikchef. Seit Crystal auf dem Vormarsch sei, würden die Drogen-Einsteiger immer jünger und seien oft nicht älter als 11, 12 oder 13 Jahre. »Wegen der zeitigen Drogenkarriere schaffen viele von ihnen keinen Schul- oder Berufsabschluss mehr.« Deshalb biete die Klinik neben der Therapie auch Weiterbildung an. Der Erfolg: Etwa 80 Prozent der Patienten hielten die sechsmonatige Behandlung bis zum Schluss durch. Bei Therapien ohne Bildungsangebote seien es nur etwa 50 bis 60 Prozent.

In hellen modernen Lehrkabinetten unterrichtet ein Team von etwa vier Lehrern in Berufen wie Zimmermann, Schreiner, Holzspielzeugmacher, Koch oder auch Tierwirt. Zwar könnten die Patienten in den Berufen nur Teilabschlüsse erwerben, sagt Wicha. Für mehr seien die sechs Therapiemonate einfach zu kurz. Aber während der Nachbehandlung gelinge es oft, Praktika oder auch Lehrstellen zu vermitteln. Zudem könnten sich die Patienten in der Klinik auf einen Hauptschulabschluss, die Mittlere Reife oder auch das Abitur vorbereiten.

Walter hat seine Therapie fast geschafft. Er hat für den Realschulabschluss gelernt. Die Ärzte hätten gesagt, er habe Glück gehabt, nach Großrückersdorf zu kommen. »Am Anfang war es ganz schön hart«, sagt der 18-Jährige. Auf dem Nachtschränkchen steht ein Konditorenbuch mit vielen Bildern von Torten - sein Berufsziel. Er will Schluss machen mit Drogen. »Ich gehe nicht nach Hause zurück«, sagt er. »Ich mache jetzt mein eigenes Ding.« dpa/nd

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