Vertreibungen im Namen der Demokratie
Michael Schwartz über den Zusammenhang von Nationalismus, Nationalstaatsbildung und ethnischer »Säuberung«
Michael Schwartz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Berliner Zweigstelle des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin und außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster. Sein aktuelles Buch heißt »Ethnische ›Säuberungen‹ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert« (Oldenbourg-Verlag, 709 S., geb., 69,80 €). Ethnische »Säuberungen« sieht er als ein Phänomen der Moderne an und fasst darunter nicht nur Ausrottungs-, sondern auch Vertreibungspolitiken. Mit Michael Schwartz sprach Ralf Hutter.
nd: Täuscht der Eindruck, dass in der Geschichtswissenschaft seit circa zehn Jahren verstärkt auf den Zusammenhang von Nationalstaatsbildung und ethnischen »Säuberungen« hingewiesen wird?
Schwartz: Nein, das ist in der Tat so. In einem Buchtitel eines Kollegen ist sogar von der »dunklen Seite der Nationalstaaten« die Rede. Ich betone aber, dass die Konflikte zwischen unterschiedlichen Nationalismen das eigentliche Problem sind. Diese Konflikte finden wir auch in Nicht-Nationalstaaten, in den sogenannten alten Imperien oder Vielvölkerstaaten.
Sie nehmen für sich in Anspruch, bei der Erforschung dieses Zusammenhangs weiter zurückzugehen als andere Ansätze. Tun Sie das nur der historischen Korrektheit willen, oder hat das einen Mehrwert?
Ich glaube, dass das einen Mehrwert hat. Gewisse europäische Ursprünge solcher Vertreibungspolitiken wurden oft dem Balkan zugeschrieben. Doch drei sehr wichtige europäische Großmächte - Groß...
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