Privilegierte Flaneure und die Massenautonomie

Ein Aktivist schreibt bei »Spiegel-online« über Gewalt während der Hamburger Recht-auf-Stadt-Demo

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 4 Min.
Markus Mohr wurde in der letzten Zeit immer mal wieder als alter Kommunist angesprochen, versteht sich aber in diesen Momenten als junger Autonomer. Er lebt von den Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.
Markus Mohr wurde in der letzten Zeit immer mal wieder als alter Kommunist angesprochen, versteht sich aber in diesen Momenten als junger Autonomer. Er lebt von den Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.

Manchmal sind in den Bewegungen die Zusammenhänge zwischen reichen Individuen und armen Massen, zwischen ziellos umherstreifenden einzelnen Flaneuren und kollektiv randalierenden Meuten so eng, dass Unterscheidungen nicht einfach zu machen sind.

Ein Debattenbeitrag des Recht-auf-Stadt-Aktivisten Christoph Twickel auf Spiegel-online unter dem irreführenden Titel »Ein dämliches Gewaltspektakel« zu der Prügelorgie der Hamburger Polizei vor der Roten Flora kurz vor Weihnachten 2013, liefert dafür instruktives Anschauungsmaterial. Während die Polizei in ihrer politischen Vor- und Nachbereitung noch auf jede Differenzierung und Spaltung der Demonstration zum Erhalt der Esso-Häuser, der Flora und dem Recht auf unbefristeten Aufenthalt der Lampedusa-Flüchtlinge verzichtete, holt Twickel eben das in einer gewieft-kenntnisreich geschriebenen Argumentation nach. Und dafür muss er die Spezies von »autonomen Hooligans« erfinden, die er der Hamburger Polizeiführung als eine von zwei »rachsüchtig erscheinenden Parteien« parallel zur Seite stellt. Bitter, aber wahr, dass Twickel dabei seine Argumentation explizit mit der von der Polizeiführung kühl verbreiteten gelogenen Behauptung von einem zweiten Angriff auf die Davidswache am 28. Dezember gleichschaltet.

Glaubt man Twickel, so sei die »militante Linke« ganz im Unterschied zu den 70er und 80er Jahren – Stichwörter: Hamburger Hafenstraße, Kreuzberg und Frankfurter Westend; in der Aufzählung fehlt: die RAF – »in konkrete politische Projekte« nicht mehr integriert. Heute gebe man sich letztlich »mit spezifischen Anliegen kaum« noch ab. Diesem trostlos gezeichneten Panorama stellt Twickel »die erste erfolgreiche Hausbesetzung seit zwei Jahrzehnten« im Hamburger Gängeviertel gegenüber, die – man höre und staune – »2009 in einer großen zivilgesellschaftlichen Debatte über Gentrifizierung und Denkmalschutz durchgesetzt worden« sei. Die Stadt musste hier aus »Furcht vor der Rufschädigung, den eine Räumung des sympathischen Gängevölkchens nach sich gezogen hätte« von einer Räumung absehen. Demgegenüber beschreibe die Konfrontation zwischen Polizei und Autonomen um die Flora, lediglich ein »dämliches und nutzloses Spektakel.«

Gesellschaft des Spektakels

Nun ja, was auch immer man von der weihnachtlichen Flora-Randale 2013 halten mag: Eine »Rufschädigung« der Stadt Hamburg hat sie bis hinein in die Reihen des State Department erreicht, die ihren Landsleuten diesbezüglich eine Reisewarnung bei einem Betreten der »restricted zone«-Hansestadt zukommen ließ.

Nicht alle Spektakel sind von vornherein schlecht. Man schlägt doch Krach, um Aufmerksamkeit zu erregen und wenn das klappt, dann unterbricht dieser Augenblick als spektakulärer das öde Kontinuum des immer repressiv gleich gemachten. Eine Binse auch, dass selbst in einem unmittelbaren Sinne die polizeilichen wie die autonomen Gewaltformen niemals gleich »dämlich« sind, wie uns weiß gemacht werden soll. Der in die Bauchregion gestochene oder auf einen ungeschützten Schädel sausende staatliche Tonfa ist eben niemals genauso »dämlich« wie der autonome Steinwurf auf einen gepanzerten Polizeibeamten, sondern einfach nur schweinisch.

Der Recht-auf-Stadt-für-Flaneure-Aktivist weiß selber, dass es zwar ihm durch den gegen die Zumutungen des Kapitalismus gerichteten Sound seiner Argumentation noch gelingen mag, unter die juristisch diffizil verregelten Bestimmungen des Denkmalschutzes zu schlüpfen, allen anderen, z.B. Hartz-IV-»Lebenskünstler/innen« – nennen wir sie hier spaßeshalber mal so – aber definitiv nicht mehr.

Die Verhältnisse und die konkreten sozialen Bezüge sind eben auch in den linken Bewegungen komplex und nicht immer einfach zu diskutieren. Das zeigt sich an dem Verlauf einer Podiumsdiskussion in Hamburg Mitte Januar 2014 zum Thema. Die Entgegnung des Genossen Andreas Blechschmidt zu den Positionen von Twickel, dass doch dessen »Sprechort nun gar nicht« gehe, ist völlig formal und intellektuell hilflos. Hier geht Blechschmidt mit seinem liebenswürdigen Motiv, dass man sich in den Bewegungen einfach nicht voneinander distanzieren soll, fehl. Flaneur Twickel realisiert in eben dieser Bewegung kalt seine sozialen Interessen, in die eine elitäre Perspektive eingeschrieben ist, und eben dafür ist das Medium Spiegel-online genau der richtige Sprechort.

Was folgt aus alledem für die Perspektive der autonomen Linken?

Das von Twickel in seiner Argumentation subkutan geltend gemachte Privileg aus einer Position des Flaneurs reflektieren zu können, soll gerade nicht zerstört, sondern muss aufgehoben werden. Dabei ist die dominant basisautonome Praxis einer egalitären Selbstrepression-für-alle die falsche Gegenorientierung: Privilegien gehören nicht abgeschafft, sondern müssen in einem kommunistischen Sinne verallgemeinert werden. Denn auch die Massen von Hartz-IV-Empfänger/innen träumen doch gerade nicht von dem Fraß in der Volxküche der Roten Flora. Wenigstens einmal in ihrem Leben wünschen sie sich doch eine günstige Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen, als wirklich vermögende Lebenskünstler/innen – frei auch von allen Zumutungen des Denkmalschutzes – so cool, geil und hipp sein zu können, wie es Christoph Twickel jetzt schon sozial verkörpert.

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