Der Mann mit dem Hund

Sebastian Edathy, ein Mensch im freien Fall - Anmerkungen von René Heilig

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Untragbar! Nicht nur Edathy. Auch Minister Hans-Peter Friedrich von der CSU, der als Bundesinnenminister Dienstgeheimnisse weitertratschte, musste gehen. Man warte die Befragung im Innenausschuss ab, sagte gestern LINKE-Chefin Katja Kipping. »Wenn die Antworten nicht befriedigend sind, ist ein Untersuchungsausschuss nicht auszuschließen. «

Erledigt! Nein, nicht der Fall. Sebastian Edathy Mann ist erledigt! Öffentlich ist er es spätestens seit der pressebekannten Durchsuchung seiner Wohnung und der Büros. Parteichef Sigmar Gabriel und andere SPD-Granden haben den ehrgeizigen Kollegen vermutlich schon seit der Bundestagswahl abgeschrieben. Er blieb ohne Amt in der Koalition und Fraktion. Wohl kein Zufall. Seine Website ist ungepflegt. Im Nachhinein, da wissen viele vieles. Und tatsächlich hieß es schon seit Wochen: Edathy ist angeschlagen. Gesundheitlich? Mmhm ... In der Tat, mit der Begründung war der Abgeordnete vor Wochenfrist einer Immunitätsaufhebung zuvor gekommen und hatte sein Mandat zurückgegeben.

Edathy sagt: »Die öffentliche Behauptung, ich befände mich im Besitz kinderpornografischer Schriften bzw. hätte mir diese verschafft, ist unwahr.« Die Staatsanwaltschaft hat vage mitgeteilt, was sie dem 44-Jährigen zur Last legt. Laut Durchsuchungsbeschluss soll Edathy zwischen 2005 und 2010 Film- und Fotosets mit Nacktaufnahmen von Kindern bei einer kanadischen Firma bestellt haben. Mit seiner Kreditkarte.

Man muss das wahrlich nicht tolerieren. Doch allein der Besitz solcher Aufnahmen ist in Deutschland wohl nicht strafbewehrt. Daher waren die Durchsuchungen »nicht nur unverhältnismäßig, sondern stehen im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen«, klagt der Betroffene und hofft, »dass die Staatsanwaltschaft demnächst einräumt, dass die Vorwürfe gegenstandslos sind«. Die Strafverfolger bleiben dabei, sie haben einen Anfangsverdacht. Den müssen sie klären, notfalls sich erklären.

Erinnerungen an den Ex-Partei- und Ex-Fraktionskollegen Jörg Tauss kommen hoch. Da war in ähnlicher Angelegenheit viel Rauch, weil Feuer. »Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren... gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.« So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Man mag einwenden, der Bundestagsabgeordnete habe Verdienste? Ja. Dass die Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrundes und das Versagen von Staat und Gesellschaft so konsequent parlamentarisch untersucht wurden, ist zu einem Gutteil Edathy zu danken. Er leitete den NSU-Untersuchungsausschuss, hielt Parteipolitik relativ fern, schonte keine echten oder angeblichen Autoritäten. Er war ein ebenso gründlicher Ermittler wie demokratischer Anwalt und gerechter Richter. Und wurde zunehmend Ziel für Hassattacken.

Kamerad »Stachus7272« hat es ihm in einer Mail schon vor zwei Jahren gesagt: Auch die Funktion als Chef des NSU-Ausschusses »ändert nichts an der Tatsache, dass Sie auch weiterhin kein ethnischer Deutscher sind. Sie bleiben, was sie immer waren, ein Halbinder. Nicht mehr und nicht weniger! Aber mit Sicherheit kein Deutscher.« Nun können Neonazis im Namen der »Volksgemeinschaft« den Finger etwas frecher richten wider diesen Fremden: »Todesstrafe für Kinderschänder!« Diese Forderung, die auch Holocaust-Leugner und NSU-Unterstützer so gern erheben, frist sich durch Bürgerhirne. Der also auch! Genug mit Unrat und Unflat.

Wer ist Sebastian Edathy? Schwer zu sagen: Evangelisch, mittelgroß, sportlich-zäh, schwer erreichbar, was nichts mit technischen Möglichkeiten zu tun hat. Lachen steckt ihn selten an. Der SPD-Mann redet keinem zum Mund: Kaninchen streicheln sei »doch viel angenehmer, als mit der CDU/CSU Koalitionsverhandlungen zu führen«, sagte er auf einer Hasenschau in Hannover.

Edathy wurde 1969 in Hannover geboren, machte Abitur, war Zivi, studierte Soziologie und Sprachwissenschaft an der Uni seiner Heimatstadt. »Schon als junger Demokrat wollte er mehr, als ›nur‹ von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen, und trat in ›die beste Partei Deutschlands‹ (SPD) ein, um auch über Stadtgrenzen hinaus wirken zu können«, schrieb ein Schüler des Gymnasium Adolfinum in Bückeburg, nachdem der Schulpate Edathy zu Jahresanfang Gast im Leistungskurs war.

1998 holte Edathy das erste Mal ein Bundestagsdirektmandat im Wahlkreis Nienburg-Schaumburg. Wie einst Gustav Heinemann. Er leitete den Innenausschuss des Parlaments, kümmerte sich um Migrationspolitik, war Sprecher der fraktionellen Arbeitsgruppe »Rechtsextremismus und Gewalt«. Schwer zu glauben, doch man kann den Mann durchaus - scheinbar anlasslos - knallhart und arrogant erleben. Feinde hat er zur Genüge, Kollegen auch: Hat er Freunde? Auf Facebook folgen ihm über 3600 sogenannte. Und echte? Ein treuer heißt Felix und ist ein französischer Jagdhundmischling.

Von den Kollegen der »taz« gefragt, was sich 2014 ändern müsse, hat Edathy unter anderem geschrieben: »Mein Hund muss sich nicht ändern, der ist ganz ok. Das gilt auch für meine übrigen Bekannten, die sind ebenfalls in Ordnung. Die Bundesregierung wird sich vor 2017 nicht ändern. Das ist zwar nicht schön, aber so ist das. Ich selber müsste mich dringend ändern, sagen mein ... Hund, meine Bekannten und mein Steuerberater.« Und jetzt stimmen dem vermutlich noch mehr Leute zu. Man liest in Edathys Text auch: »Eigentlich will ich mich doch ändern. Eigentlich müsste ich mich ändern. Aber eigentlich will ich nicht.«

Man kann aus allem herauslesen, was einem passt. Wird Edathy genug Anstand haben, es zu erklären? Und ob wir's verstehen?

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