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»Auch andere Familien haben schöne Töchter«
Tarifflucht, aber auch Mindestlohn und Lehrlingsrückgang waren Themen des brandenburgischen Gesellentages
Jeder fünfte Vollbeschäftigte in Brandenburg muss sich mit einem Lohn unterhalb des definierten Mindestlohns zufriedengeben. Und jene, die »sowieso schon am ärmsten dran sind«, haben in den vergangenen drei Jahren mit lediglich einem Prozent jährlicher Steigerung auch noch unterhalb der Inflationsrate gelegen. Das erklärte der Bezirksleiter der Gewerkschaft IG Metall, Olivier Höbel, am Wochenende beim Gesellentag der Handwerkskammer in Potsdam.
Höbel zufolge verdienen rund 118 000 Angestellte in Brandenburg weniger als 1379 Euro im Monat. Der Gewerkschafter kritisierte die »Tarifflucht« der Unternehmer - weniger als ein Viertel der märkischen Firmen ist noch tarifgebunden. Wer sich dem Tarif verweigere, dem werde irgendwann ein gesetzlicher Mindestlohn vorgeschrieben, betonte Höbel. Anzustreben sei für Brandenburg, »dass wir wieder Regeln bekommen«. Wenn die Handwerksinnungen als Tarifpartner ausfielen, dann würden sich die Gewerkschaften Ersatz suchen. »Andere Familien haben auch schöne Töchter.«
Thomas Erdmann, Arbeitnehmervertreter im Präsidium der Handwerkskammer Potsdam, beklagte die »Verabschiedung der Innungen aus dem Tarifgeschäft«. Alle, die das taten, seien später »schwächer geworden«. Bei aller Zustimmung zum Mindestlohn gab Erdmann zu bedenken, dass die Einführung einer solchen Lohnuntergrenze zu einer Vereinheitlichung des Einkommens führen könnte. Wenn die nicht qualifizierte Hilfskraft genauso viel verdiene wie der hoch qualifizierte Facharbeiter, dann stelle sich mancher die Frage, warum man überhaupt eine Lehre beenden sollte.
Auf die Lehrlingszahlen machte der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Ralph Bührig, aufmerksam. Die Zahl der Lehrverträge im Kammerbezirk Potsdam sei von rund 10 000 vor zehn Jahren auf etwa 3300 gesunken. Er erwarte, dass Bewerber auch in Zukunft »Mangelware« bleiben, zumal Industrie und Bundeswehr attraktive Angebote machten. »Die Jugendlichen haben die Wahl - nicht die Unternehmer.« Dabei sei die Vergütungshöhe nicht immer ausschlaggebend. Obwohl im Kammerbezirk die Maurerlehrlinge im dritten Lehrjahr 814 Euro erhielten, gebe es nur noch 41 Lehrlinge. Bei Bäckern und Friseuren, die ihren Lehrlingen deutlich weniger zahlten, seien es mehr. Bis 2015 werde im Friseurhandwerk ein Mindestlohn von 8,50 Euro gelten, so Bührig. Generell nicht zufrieden sein könne das Handwerk mit dem Bildungsstand vieler Schulabgänger. Unter »bestimmten Bildungspolitikern« gebe es offenbar die Auffassung, dass Jugendliche, die für andere Berufsfelder nicht taugen, »für das Handwerk immer noch gut genug sind«, kritisierte der Hauptgeschäftsführer.
Nach Jahren des Aufschwungs habe sich in der ersten Hälfte 2013 das brandenburgische Bruttoinlandsprodukt erstmals wieder um 0,3 Prozent vermindert, berichtete Carsten Enneper vom Wirtschaftsministerium.
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