Eine Lücke in der Erinnerung schließen

Speyer hat nun ein virtuelles Gedenkbuch für NS-Opfer

  • Alexander Lang, Speyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die jungen Frauen mit dem Aufnäher »Ost« auf den Jackenärmeln lächeln in die Kamera. Doch die auf dem Schwarz-Weiß-Foto aus den 1940er Jahren zur Schau getragene Harmonie ist trügerisch. »Das kann gestellt sein«, sagt Doreen Kelimes, Mitarbeiterin des Stadtarchivs in Speyer. Sie klickt auf ein anderes Computerbild, der Stacheldrahtzaun hinter der Gruppe von Zwangsarbeitern ist kaum zu erkennen. Mit einem »virtuellen Gedenkbuch« will die Stadt Speyer in Rheinland-Pfalz an das Schicksal von Zwangsarbeitern und jüdischen Mitbürgern während der NS-Zeit erinnern.

Seit Januar ist der Internetblog »Erinnern in Speyer 1933-1945« freigeschaltet, der »ein Ort des Erinnerns an das Schicksal der Zwangsarbeiter und Juden in Speyer und Umgebung« sein soll, wie die Archivarin Katrin Hop- stock sagt. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Kelimes hat sie die Internetdatenbank mit Texten und Fotos umgesetzt. Ähnliche Gedenkbücher haben etwa die Städte Worms, Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe und Nürnberg. Sie sollen auch eine Informationsquelle für Nachkommen der Opfer oder Ahnenforscher sein.

Der Blog, der stetig mit Texten und Fotos ergänzt werden soll, sei besonders für die mehr als 1900 Zwangsarbeiter ein »virtueller Gedenkort«, sagt Hopstock. Grundlage der Dokumentation sind im Stadtarchiv Speyer erhaltene Melde- und Versicherungskarten, die digitalisiert wurden. Aufgeführt sind alphabetisch die Namen der Zwangsarbeiter, ihr Geburtsdatum und -ort, das Herkunftsland und der Vermerk über die Meldung in Speyer. Nicht genannt werden die Namen der Betriebe, die Zwangsarbeiter beschäftigten.

Mehr als die Hälfte von ihnen waren »Ostarbeiter« aus Russland und aus den besetzten Ländern Osteuropas. Sie mussten hart für Betriebe in Speyer und Umgebung schuften - - wie der knapp 30-jährige Landarbeiter Iwan Abramow aus Leningrad. Ganze Familien wurden von Soldaten »von der Straße weg verschleppt« und zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert, erläutert Hop-stock. Wie der Speyerer Rüstungsbetrieb Flugwerke Saarpfalz brachten auch andere Firmen »ihre Zwangsarbeiter« oft in eigenen, mit Stacheldraht umspannten Lagern unter.

Allerdings hätten manche Zwangsarbeiter später versichert, von ihren Chefs gut behandelt worden zu sein, sagt die Archivarin. Dass hochbetagte ehemalige Zwangsarbeiter oder deren Nachkommen eine finanzielle Entschädigung von den früheren Betrieben einfordern könnten, glaubt sie nicht. Viele Dokumente über die Zwangsarbeit - Beschäftigungslisten oder Lagerpläne - verschwanden nach 1945.

Bisher gedachte die Stadt Speyer nicht ausreichend der jüdischen Mitbürger, die den Holocaust in Lagern oder als Emigranten überlebten, ergänzt Joachim Kemper, der Leiter des Stadtarchivs. Im Jahr 1933 lebten 239 Juden in der Domstadt - 1942 wurden die letzten sieben in das Konzentrationslager Theresienstadt im heutigen Tschechien deportiert. An die rund 90 umgekommenen Speyerer Juden erinnern zwei Gedenktafeln am Mahnmal der 1938 zerstörten Synagoge und in der neuen Synagoge.

Die Lücke in der Erinnerung schließt das Gedenkbuch mit einer Liste über jüdische Speyerer, die etwa seit 1900 in der Stadt lebten. Archivarin Hopstock recherchierte dafür unter anderem in Deportationslisten und nahm Kontakt auf zu Überlebenden und Opferfamilien. epd/nd

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