Das Problemkind der Versicherungen

Hohe Haftpflichtprämien für Hebammen schränken die Möglichkeiten zur natürlichen Geburt weiter ein

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Droht dem Berufsstand der Hebammen ab 2015 das Aus? Die Probleme bei der Haftpflichtversicherung für Hebammen sind lange bekannt. Politische Lösungen lassen aber weiter auf sich warten.

Die Nürnberger Versicherung will sich zum 1. Juli 2015 aus der Haftpflichtversicherung für Hebammen zurückziehen, teilte das Unternehmen kürzlich mit. Dann würden auf dem schon stark geschrumpften Markt nur noch zwei Anbieter aktiv sein: die Versicherungskammer Bayern und die R+V-Versicherung. Verhandlungen der Berufsverbände mit anderen Unternehmen blieben bisher erfolglos. Bis vor einigen Jahren bot ein österreichischer Versicherer die Police für 1600 Euro im Jahr an; 2012 lag die Prämie schon bei über 4000 Euro.

21 000 Hebammen gibt es hierzulande, davon arbeiten 16 000 teilweise oder ganz freiberuflich. 5140 von ihnen bieten auch Leistungen der Geburtshilfe an - vor allem ihnen könnte jetzt das berufliche Aus drohen, weil niemand sie mehr versichern will. Nach Informationen des Deutschen Hebammenverbandes hat bereits ein Viertel der Freiberuflerinnen aus finanziellen Gründen aufgegeben. Die zurückgehende Zahl der Hebammen trug ebenfalls zum Anstieg der Versicherungsbeiträge bei.

Hinter dem Rückzug der Versicherer steht kein Qualitätsproblem: 94 Prozent aller außerklinisch begonnenen Geburten enden in einer normalen Geburt, so Ruth Pinno, Vorsitzende des Bundes freiberuflicher Hebammen. Die Zahl der Schadensfälle ist nicht gestiegen - anders als die Zahl klagender Eltern. Auch die Schadensersatzforderungen schnellten in die Höhe, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Behandlung und Pflege nach schweren Komplikationen werden immer teurer und vielfältiger. Von 2003 bis 2012 sind die Kosten für schwere Geburtsschäden um fast 80 Prozent gestiegen. Versicherer zahlen demnach für ein bei der Geburt schwer geschädigtes Kind im Durchschnitt 2,6 Millionen Euro. Die Schadensersatzforderungen können auch für Spätfolgen bis 30 Jahre nach der Geburt geltend gemacht werden. Die Deckungssumme der Haftpflichtversicherung wurde von 2,5 Millionen Euro pro Jahr für 2003 auf heute 6 Millionen erhöht. Die Leistungen im Schadensfall liegen in 90 Prozent der Fälle bei über 100 000 Euro.

Hebammen, die in Geburtshäusern, Praxen oder selbstständig arbeiten, müssen sich demnächst mit etwa 5000 Euro im Jahr versichern, unabhängig von der Zahl der Geburten, die sie begleiten. Angestellte Hebammen sind über die Klinik versichert. Beleghebammen in privaten Krankenhäusern müssen sich vollständig oder teilweise privat versichern. Ohne diesen teuren Rückhalt dürfen die Freiberuflerinnen auch keine Schwangeren- und Wochenbettbetreuung mehr übernehmen.

In der Konsequenz müssen Geburtshäuser schließen und freiberufliche Hebammen die direkte Geburtshilfe aufgeben. Den werdenden Müttern bleibt nur der Gang ins oft weit entfernte Krankenhaus, zu den kostensparenden großen Entbindungsstationen. Das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsforschungsinstitut fand heraus, dass bei einer maximalen Fahrtzeit von 30 Minuten zur nächsten Geburtshilfestation 260 der insgesamt 900 Klinikabteilungen geschlossen werden könnten. Dies träfe solche Stationen, die weniger als 400 Geburten im Jahr versorgen.

Von individueller Geburtshilfe kann dann kaum noch die Rede sein. Der Vorgang zeigt erneut, dass die Geburt im Regelfall doch kein natürlicher Lebensvorgang ist, und rückt sie wieder ein Stück näher zur Krankheit, die im Akkord »behandelt« wird.

Seit über einem Jahr ringen die Fachministerien mit Verbänden und Versicherern in einer Arbeitsgruppe um eine politische Lösung. Zwar wurde die Vergütung der Hebammen im vergangenen Jahr um 13 Prozent angehoben und die Krankenkassen übernehmen einen Teil der Versicherungskosten. Das Problem blieb trotzdem bestehen und spitzt sich nun noch zu. Gelöst werden könnte es, wenn jenseits einer Deckungsobergrenze von einer Million Euro der Staat einspringt. Dann könnten die Prämien niedriger angesetzt werden. Eine derartige Fondslösung für besondere Haftungssituationen fordern auch die Hebammenverbände, die in letzter Zeit immer mehr Unterstützung durch Petitionen und Aufrufe im Internet bekommen. Auch in Offenen Briefen machen Betroffene auf ihre Probleme aufmerksam.

Heute wollen Vertreterinnen des Vereins »Hebammen für Deutschland«, der sich für den Erhalt individueller Geburtshilfe stark macht, Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) treffen. Eine Ministeriumssprecherin wollte das Treffen nicht bestätigen. Auch einen Termin zur Vorstellung der Ergebnisse der interministeriellen Arbeitsgruppe gebe es noch nicht.

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