Filmerei schreckt ab
Verfassungsgerichtshof verhandelte über Rechtmäßigkeit von Demonstrationsüberwachung
Was darf die Polizei bei Versammlungen und Demonstrationen filmen und was nicht? Dieser Frage widmete sich der Berliner Verfassungsgerichtshof am Mittwoch. Am 23. April letzten Jahres hatte das Abgeordnetenhaus ein Berliner Versammlungsgesetz beschlossen. Das Gesetz regelt auch, unter welchen Voraussetzungen die Polizei Bild- und Tonaufnahmen herstellen darf.
Beanstandet wird von der Opposition vor allem der Absatz 3 des ersten Paragrafen. Darin heißt es: Die Polizei darf »Übersichtsaufnahmen« von Versammlungen unter freiem Himmel anfertigen. Sie dienen bei »großen und unübersichtlichen Veranstaltungen der Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes«. Solche Aufnahmen müssen offen erfolgen, dürfen weder aufgezeichnet noch zur Identifikation von Demonstrationsteilnehmern verwendet werden - im Gegensatz zu solchen polizeilichen Aufnahmen, die der Beweissicherung bei Straftaten dienen. »Übersichtsaufnahmen« - so sagt es die Regelung - werden von festen Standpunkten und vom Hubschrauber aus angefertigt und sollen immer nur eine große Menschenmenge zeigen, wo der Einzelne nicht zu erkennen ist. Diese Bilder gehen dann verschlüsselt direkt in die Einsatzzentrale der Polizei.
Linkspartei, Grüne und Piraten sehen in den »Übersichtsaufnahmen« eine elementare Verletzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Denn der Bürger, der sein Recht der Teilnahme an einer Demonstration wahrnehmen will, könnte durch die Polizeifilmerei abgeschreckt werden. Außerdem berge diese Form der Kameraüberwachung zahlreiche Risiken. So könnten die Bilder beispielsweise auf dem Weg von der Kamera zur Zentrale angezapft werden, »Kameraleute« könnten trotz Verbot mitscheiden oder ein Smartphone könnte sich einklinken. Deshalb seien solche Aufnahmen unverhältnismäßig und ungesetzlich.
Dem widersprachen Staatssekretär Bernd Krömer vom Innensenat sowie Vertreter von Polizei und Abgeordnetenhaus. Für den Senat sei es ein vertretbarer Eingriff in das Versammlungsrecht. Die Bürger, die an Demonstrationen teilnehmen, könnten sehr wohl erkennen, wofür die Aufnahmen gedacht seien. Die Polizei gehe sehr verantwortungsvoll mit den Bildern um. Bei insgesamt 3800 unterschiedlichen Demonstrationen im letzten Jahr seien in drei Fällen »Übersichtsaufnahmen« zum Einsatz gekommen. Bei zwei Demonstrationen zum 1. Mai und bei einer Veranstaltung am 24. August, mit einer »Rechts-links-Konstellation«. Aus Sicht des Senats ist das Gesetz in der beschlossenen Form völlig verfassungskonform. Die Richter interessierten sich in der Fragestunde vor allem für den praktischen Nutzen der Überwachung und die technischen Möglichkeiten der Polizeifilmer.
Die Oppositionsparteien bestritten zum Abschluss der zweistündigen Verhandlung die Notwendigkeit solcher Aufnahmen und damit der Einschränkung des Demonstrationsrechts. Ein Teilnehmer könne die Tragweite der Filmerei nicht erkennen. Deshalb müsse der Passus im Versammlungsgesetz für nichtig erklärt werden. Ein Urteil fällte das Verfassungsgericht gestern nicht, es soll am 11. April verkündet werden.
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