Ankara zeigt Usern rote Netzkarte - Gül unterschrieb Gesetz

Türkischer Staatspräsident räumt »vor allem in zwei Punkten Probleme« ein / Medienkampagne gegen neue Internet-Restriktionen

  • Lesedauer: 3 Min.
Der türkische Staatspräsident Gül hat ein umstrittenes Internet-Gesetz signiert. Damit darf die Regierung ohne vorherigen Richterbeschluss Inhalte im Netz sperren.

Ankara. Ungeachtet heftiger Kritik aus dem In- und Ausland hat der türkische Präsident Abdullah Gül ein Gesetz zur Verschärfung der Internetkontrolle unterzeichnet. Er habe das Gesetz in Kraft gesetzt, nachdem die Regierung ihm versichert habe, Teile davon abzuschwächen, erklärte Gül. Der Staatschef vermied damit einen offenen Konflikt mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Brüssel und die Opposition übten scharfe Kritik.

Gül erklärte im Kurzbotschaftendienst Twitter, er sei sich bewusst, dass es in dem Gesetz »vor allem in zwei Punkten Probleme« gebe. Die Besorgnisse in diesen Fragen würden jedoch berücksichtigt werden. Nähere Erklärungen gab er nicht. Die oppositionelle Partei CHP hatte zuvor bestätigt, dass das Gesetz in einigen Punkten abgeschwächt werden solle, was jedoch nicht ausreiche.

Das umstrittene Gesetz war vor wenigen Tagen vom türkischen Parlament verabschiedet worden. Es ermöglicht die Sperrung von Internetseiten beim Verdacht auf beleidigende, diskriminierende oder die Privatsphäre verletzende Inhalte. Journalisten- und Juristenverbände in der Türkei kritisierten das Gesetz scharf. Die Gegner des Vorhabens forderten Gül auf, sein Veto einzulegen.

Laut türkischen Presseberichten schlug Erdogan den Parlamentsfraktionen allerdings am Dienstagabend vor, den Text in einem entscheidenden Punkt zu ändern. Demnach soll die Telekommunikationsbehörde die Justiz nun im Voraus über die geplante Schließung einer Internetseite informieren müssen. Die Richter haben dann 48 Stunden Zeit, zu entsprechenden Vorhaben Stellung zu nehmen.

Gül galt lange Zeit als enger Weggefährte Erdogans. In der jüngeren Vergangenheit distanzierte er sich aber immer wieder vorsichtig von der harten Linie des konservativ-religiösen Regierungschefs, etwa mit Blick auf die gewaltsame Niederschlagung von Protesten gegen dessen Politik. Den offenen Konflikt mit Erdogan vermied Gül nun aber durch die Unterzeichnung des Gesetzes.

Die Opposition warf Gül vor, mit seiner Unterschrift die Verschleierung von Korruptionsfällen im Umfeld der Regierung zu befördern. Gül sei zum »Partner« bei diesen Versuchen geworden, erklärte Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu in der Nacht zum Mittwoch bei Twitter. Gül verlor bis zum Mittwochmorgen rund 80 000 seiner ursprünglich knapp 4,4 Millionen Anhänger bei Twitter.

Das Internetgesetz wie auch eine kürzlich beschlossene Justizreform, die den Einfluss der Regierung auf die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten erweitert, hatten in der EU wachsende Sorgen über die Entwicklung beim Beitrittskandidaten Türkei ausgelöst. Beide Reformen gehören zur Reaktion der Regierung auf Korruptionsvorwürfe, die Erdogan regierungsfeindlichen Kräften zuschreibt. Laut der Tageszeitung »Hürriyet« bekräftigte die EU-Kommission in einem neuen Schreiben an die türkische Regierung ihre Bedenken wegen des Internetgesetzes und der Justizreform. In Brüssel verschlechtere sich die Stimmung mit Blick auf die Türkei, zitierte das Blatt einen Diplomaten. Die niederländische EU-Abgeordnete Marietje Schaake zeigte sich »besorgt« über die Entwicklungen in der Türkei.

Die türkische Zeitung »Radikal« startete unterdessen eine Kampagne gegen das neue Internetgesetz: Jeweils nach vier Stunden verschwanden sämtliche Texte, Fotos oder Videos von ihrer Internetseite.

Gemäß dem neuen Gesetz haben Internettreiber, die von den Behörden zur Entfernung einer Information aufgefordert werden, vier Stunden Zeit, um der Aufforderung Folge zu leisten. Agenturen/nd

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