Nie mehr falsch parken!
Festival Musik und Politik: Thomas Franz und Schwarze Grütze
Seit einigen Tagen steht der Ernst-Thälmann-Park unter Denkmalschutz. Das 1986 eingeweihte Wohngebiet in Prenzlauer Berg sei »eine Leistungsschau des real existierenden Sozialismus«, urteilten die Gutachter des Landesdenkmalamts. Die Bausubstanz, heißt das, ist in ihrer ursprünglichen Gestalt zu erhalten.
Am Donnerstagabend auf dem Weg in den achteckigen Flachbau WABE - vom Kabarett-Duo Schwarze Grütze später zum »Kreiskulturhaus« geadelt - spazierte man also, am monumentalem Bronze-Thälmann vorbei, gleichsam durch ein Freiluftmuseum. Eröffnet wurde an diesem Abend der 15. Jahrgang des Festivals Musik und Politik. Weil das von 1970 bis 1990 in der Hauptstadt der DDR ausgerichtete Festival des politischen Liedes seinerzeit von niemandem unter Denkmalschutz gestellt wurde, ist das derzeitige Festival bereits dessen Nach-Nachfolger. Am Leben gehalten wird die behutsam modernisierte und stark abgespeckte Veranstaltung vom Verein »Lied und soziale Bewegung«.
Im selben Jahr, in dem Erich Honecker den Thälmann-Park eröffnete, war beim Festival des politischen Liedes eine internationale Ikone des Protestsongs zu Gast: Pete Seeger. Eine kleine Fotoausstellung im Foyer der WABE erinnert an diese Sternstunde anno 1986. Auf der Texttafel heißt es über den Folksänger aus den USA, der Anfang 2014 gestorben ist: »Wir haben von Pete Seeger Lieder gelernt, haben erlebt, wie zwanglos gemeinschaftliches Singen sein kann. ... Pete Seeger war und ist für uns eine große Inspiration.« Die tollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Thomas Neumann sind gut zu erkennen, sobald sich das Auge den Weg durch eine Schicht aus Staub und Schlieren gebahnt hat. Eins der Fotos ist aus dem Bühnenhintergrund geschossen: Seeger in Rückenansicht ganz klein an der Rampe, vor ihm die mitgerissenen Massen.
Das war einmal. Zum Eröffnungskonzert des diesjährigen Festivals waren so wenige Besucher gekommen, dass der lustige Liedermacher Thomas Franz zur Begrüßung in den Raum rief: »Hallo Menschen! Hallo Stühle!« Thomas Franz - das ist bestimmt ein klug gewählter Künstlername. Jedenfalls passt er perfekt zur unprätentiösen Erscheinung: Dreitagebärtig, im Holzfällerhemd und mit Schiebermütze, um den Hals eine elektronisch verstärkte Akustikgitarre, die sich offenbar wehgetan hatte, denn ein Heftpflaster war fürsorglich auf ihren Korpus geklebt, betrat der junge Oberbayer die Bühne, um Lieder über »Freundschaft und Sozialneid« zu singen. Nach Berlin gekommen ist er vor zehn Jahren und dann eben hängengeblieben wie alle.
Wie es sich für einen Abend gehört, der sich dem »Musikkabarett« verschrieben hat, sind Thomas Franz’ Lieder zum Lachen. Keine kalauerquatschige Schenkelklopferkomik allerdings bringt der leise Mann mit dem rrrrollenden »R« zu Gehör, sondern vornehmlich kleine, heitere Verlierergeschichten. So leiden wir mit einem bislang tadellos gepflegten Angestellten, den »das wachsende Tattoo«, das er eines Tages im Spiegel auf seinem Körper entdeckt und das nach und nach seine gesamte Hautfläche in Beschlag nimmt, zum »Punk wider Willen« macht - was ihm am Ende ganz gut bekommt. Wir hören von einer Jungenfreundschaft, die daran zerbricht, dass der eine irgendwann »Mit dem BMW von Papa unterwegs« ist, während der andere noch immer auf dem Fahrrad sitzt. Und in einem Berliner »Heimatlied« werden wir an die graue Zeit erinnert, in der die Großstadt noch von den Dinosauriern besiedelt war.
Thomas Franz, der mit Hilfe eines Casio-Keyboards auch ein paar komische HipHop-Songs darbietet, nimmt durch professionelle Zurückgenommenheit und schöne Selbstironie für sich ein. Eigentlich habe er schon als Kind lieber Buchhalter werden wollen, erzählt er. Doch die Eltern hätten da protestiert: »Was sollen bloß die Nachbarn denken? Werd lieber Künstler!« Nun sei er Kleinkünstler, ein Kompromiss. Politisch sind die Botschaften des Sängers insofern, als sie jedes Mitläufertum veralbern. In der Zugabe »Steppenschaf« soll das Publikum mitsingen, der Text lautet »Määääh«. Und siehe da: Mancher ist wirklich dabei.
Begeistert ist das Publikum, das vorwiegend ein dem Festival treu verbundenes Stammpublikum zu sein scheint, dann vom ideen- und energieberstenden Hauptact des Abends: dem perfekt eingespielten Potsdamer Kaberett-Duo Schwarze Grütze. Stefan Klucke und Dirk Pursche sind offenbar größere Säle gewohnt, Moderator Stefan Körbel erwähnt ihren Erfolg selbst in Süddeutschland. Klucke, der aussieht und auftritt wie ein Reinhold Beckmann auf Speed, und Pursche, der eher an einen aufziehbaren Heinz Rennhack nach geglückter Verjüngungskur erinnert, vermögen aber auch die halbleere WABE im Sturm zu nehmen.
Rot sind an den beiden vor allem die Gitarren (bei Pursche auch die Lackschuhe), die mit Verve und Witz bedient werden. Die Schwarze Grütze bringt einige Nummern aus ihrem Programm »TabularasaTrotzTohuwabohu!« mit einer solchen Spielfreude auf die Bretter, als wäre das Fernsehen da - dabei zeichnet »nur« rockradio.de den Abend auf. Musikalisch astrein (mal zweistimmig, mal unisono) und sprachlich voll auf der Höhe (einschließlich einem Feuerwerk an Stab- und Echo- und Schüttelreimen), versteht dieses Kabarett sich augenzwinkernd als »Ratgeberprogramm«. So preist man Ebay als ideales Mittel, seine »Probleme zu Geld« zu machen: Der Weihnachtsbaum, der schon seit Jahren nadelt? Das Doppelbett, obwohl man längst wieder Single ist? Das Patenkind aus der Dritten Welt? Der Atommüll? Die GEZ? - alles bei Ebay einstellen: »’s wird schon irgendjemand kaufen.«
Auch weiß die Schwarze Grütze - um der Tradition des Festivals gerecht zu werden? - ein zeitgemäßes »Kampflied« aufzuspielen. (Und das, obwohl man von Kind auf mit politischen Schlagern wie »Soldaten sind vorbeimarschiert« agitiert wurde, die hier auch anklingen, aber sofort abgebrochen werden, als jemand im Publikum mitsingt.) »40 Jahre lang sind wir beschissen worden«, beschweren sich die DDR-Kinder Pursche (Jg. 1969) und Klucke (Jg. 1971). Und haben recht - wenn man das Alter beider im Jahr 1990 zusammenrechnet. Ihr Protestlied von heute jedenfalls rührt auf zum wahren Widerstand: Jeglichen Spaß vermeiden -, um die Vergnügungssteuer zu umgehen! Nie mehr falsch parken! Diesem Staat ja nichts mehr schenken! »Wir dreh’n den Geldhahn zu, das zwingt sie in die Knie!«
Es ist eine gute Idee, das Festival mit einem lustigen Abend zu eröffnen. Was auf der Bühne zu sehen und zu hören war, wirkte kein bisschen museal, sondern überaus zeitgemäß.
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