Können Rheumamittel vor Alzheimer schützen?

Wissenschaftler entwickeln neue Methode zum Test von Demenz-Medikamenten

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Bereits im Jahr 1995 war Ärzten aufgefallen, dass Rheumapatienten seltener bzw. später an Alzheimer erkrankten als Nichtrheumatiker. Bei der Suche nach möglichen Ursachen für dieses erstaunliche Phänomen stellte man fest, dass die betreffenden Patienten häufig entzündungshemmende Schmerzmittel, sogenannte nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), einnahmen. Um zu ergründen, ob hier tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht, wurde ein solches Mittel, Flurizan, an Mäusen getestet. Mit Erfolg. Bei den Tieren kam es durch die Behandlung zu einem deutlichen Rückgang der für Alzheimer typischen Beta-Amyloid-Plaques, so dass sich die Herstellerfirma »Myriad Genetics« 2008 entschloss, Flurizan an 1700 Patienten klinisch zu testen. Doch die Hoffnung auf eine baldige Therapie gegen Alzheimer erwies sich als trügerisch. Denn die am Tiermodell gewonnenen Resultate konnten in der klinischen Studie nicht reproduziert werden, weswegen Myriad auf weitere Untersuchungen verzichtete.

Damit wurde erneut offenbar, dass Tierversuche für die Medikamentenentwicklung oft gar nicht so hilfreich sind wie manche Wissenschaftler behaupten. Ein Forscherteam um Oliver Brüstle vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn hat deshalb jetzt einen anderen Weg gewählt, um die Wirksamkeit von möglichen Alzheimer-Medikamenten zu testen.

Für ihre Versuche nutzten die Forscher erstmals menschliche Nervenzellen (Neuronen), bei deren Gewinnung sie sich auf ihre langjährigen Erfahrungen mit Stammzellen stützen konnten. Tatsächlich lassen sich dank der Fortschritte in der Stammzellforschung aus Zellen des Körpers inzwischen sehr effektiv Gehirnzellen erzeugen. Um dies im Labor zu realisieren, verwendeten Brüstle und seine Mitarbeiter gespendete Hautzellen von zwei Patienten mit erblicher Alzheimer-Erkrankung und stellten daraus sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) her. Das heißt, sie versetzten die Hautzellen in ein quasi-embryonales Stadium zurück, von dem ausgehend sich Zellen ganz allgemein in nahezu jeden Gewebetyp verwandeln lassen. An den auf solche Weise gewonnenen Nervenzellen testeten sie anschließend mehrere Wirkstoffe aus der Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika, darunter Diclofenac (Handelsname unter anderem Voltaren) und Ibuprofen (Ibutop). Als Kontrolle dienten den Forschern Neuronen, die aus iPS-Zellen von nicht erkrankten Hautspendern stammten.

Die Versuche erbrachten ein zwiespältiges Ergebnis. Zum einen zeigte sich, dass hohe NSAR-Konzentrationen tatsächlich dazu führen, die Amyloid-Bildung zu drosseln. Allerdings sind die dabei auftretenden Nebenwirkungen in der Regel so gravierend, dass man sie Patienten nicht zumuten kann. Wurden hingegen gängige Wirkstoffdosen eingesetzt, fiel das Ergebnis enttäuschend aus: Weder bei den aus der Haut von Alzheimer-Patienten gewonnenen Nervenzellen noch bei den Kontrollzellen fand ein Abbau der schädlichen Beta-Amyloide statt.

»Um zu belastbaren Vorhersagen über den Erfolg eines Alzheimer-Wirkstoffs zu kommen, müssen die Tests direkt an den betreffenden menschlichen Nervenzellen durchgeführt werden«, sagt Brüstles Kollege Philipp Koch. Das heißt freilich nicht, dass Wirkstofftests an aus Stammzellen generierten Nervenzellen künftig überflüssig wären. Im Gegenteil. Diese Testverfahren sind geeignet, die bisher in der Demenzforschung üblichen Untersuchungen an Tiermodellzellen oder Hirnzellen verstorbener Patienten vielfach zu ersetzen. Sie könnten so entscheidend dazu beitragen, die Suche nach Alzheimer-Medikamenten zu beschleunigen.

Vermutlich wird sich dabei auch irgendwann klären lassen, was Rheumatiker wirklich vor Alzheimer schützt. Einer neueren Studie zufolge könnte das ein bestimmtes Protein sein, das im Körper von Rheuma-Patienten freigesetzt wird und den Abbau von Amyloid-Plaques anregt. Doch auch diese Erkenntnisse stammen vorerst aus Tierversuchen.

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