Shanghai kann warten
Der jüngste Flughafenstreik in Frankfurt am Main war überraschend erfolgreich / Passagiere reagierten gelassen
Lufthansa und der Flughafenbetreiber Fraport fordern, dass das Streikrecht der Luftsicherheitskräfte gesetzlich eingeschränkt wird. Die Politik müsse »Rahmenbedingungen schaffen, damit solche Konflikte künftig nicht auf dem Rücken zigtausender unbeteiligter Passagiere ausgetragen« würden, sagte ein Fraport-Sprecher zum jüngsten, höchst wirkungsvollen Streik am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt am Main. »Wer an einem der verkehrsreichsten Tage ganztägig streikt, nimmt billigend in Kauf, dass hauptsächlich die Passagiere darunter leiden.« Es könne nicht sein, dass »eine Zwangs- bzw. Notlage von Kunden für egoistische Interessen ausgenutzt« werde.
Dass der Arbeitskampf, zu dem die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di für vergangenen Freitag die Beschäftigten privater Sicherheitsunternehmen am Frankfurter Großflughafen aufgerufen hatte, binnen weniger Stunden zu einer Blockade sämtlicher Sicherheitsschleusen und zu Chaos in den Terminals führte, dürfte die beteiligten Firmen ebenso überrascht haben wie die ver.di-Akteure und die ihnen zur Seite stehende kleinere komba-Gewerkschaft im Beamtenbund. Die Resonanz auf den Streikaufruf war deutlich stärker als erwartet, zumal auch fast alle Nichtorganisierten ohne große Überzeugungsarbeit unverzüglich ihre Tätigkeiten niederlegten und damit bewusst den Lohnausfall für den Streiktag in Kauf nahmen. Immer wieder zogen kleine Gruppen von Streikenden mit ihren Streikwesten durch die überfüllten Terminals. Ihren Gesichtern war die Genugtuung darüber abzulesen, dass ihr Arbeitskampf derart wirkungsvoll war und damit aller Welt die Bedeutung ihrer Arbeit vor Augen geführt wurde. Tausende gestrandeter Fluggäste nahmen die erzwungene Verzögerung ihres Abflugs in aller Regel geduldig hin. »Dann fliegen wir eben erst morgen nach Shanghai zurück«, sagten mit stoischer Gelassenheit auf ihren Koffern sitzende junge Chinesen in Terminal A auf nd-Anfrage. Mit dem angekündigten »Krisenmanagement« war Fraport offensichtlich völlig überfordert.
Der Arbeitgeber-Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) habe als »gleichwertiger Akteur in den laufenden Tarifverhandlungen mit seiner Verweigerungshaltung am Verhandlungstisch die Zuspitzung betrieben«, sagte die hessische ver.di-Sprecherin Ute Fritzel am Mittwoch. Streik sei und bleibe »das einzige Mittel, bei unbeweglichen Arbeitgebern Stärke in Tarifauseinandersetzungen zu zeigen«, so die Gewerkschafterin. »Das Streikrecht ist und bleibt ein Grundrecht und hohes Gut.«
Vermeintlich »großzügige« Lohn-angebote der Arbeitgeber blendeten aus, dass Beschäftigte der privaten Luftsicherheit in Hessen im Schnitt 11,70 Euro in der Stunde und damit deutlich weniger als anderswo in der Republik verdienten. Dieses Lohnniveau sei der anstrengenden Arbeit nicht angemessen. Schließlich seien die Sicherheitskräfte dafür verantwortlich, dass keine Waffen oder Gefahrgut an Bord kämen. Dies verlange den Beschäftigten eine hohe Konzentration ab und gehöre zu den hoheitlichen Aufgaben des Staats. Unter dem Druck der EU-Kommission habe der Bund jedoch die Sicherheitskontrollen an private Unternehmen abgegeben, die »den Preis-Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten austragen«, so Fritzel. ver.di fordert für die Branche einen Stundenlohn von 16 Euro. Die Tarifverhandlungen mit dem BDSW werden am kommenden Mittwoch fortgesetzt.
Die Weichen für die Privatisierung der Luftsicherheit hatte die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) im Jahr 1992 gestellt. Seither werden die Aufgaben im Sicherheitsbereich nicht mehr von Polizeikräften des Bundes wahrgenommen, sondern über Ausschreibungen des Beschaffungsamts des Bundesministeriums des Innern an private Firmen ausgelagert. Für deren Beschäftigten bedeutet Wettbewerb nicht nur Lohndruck, sondern auch permanente Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Betreiberwechsel und vor spontanen Qualitätskontrollen durch Beamte in Zivil. Der Streik vom vergangenen Freitag war offensichtlich ein lange erwartetes Ventil, um angestauten Dampf und Frust abzulassen.
»Wir waren damals gegen die Privatisierung und sind es heute immer noch«, so Jörg Radek von der DGB-Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf nd-Anfrage. Die Luftsicherheit müsse »aus einem Guss« und mit einheitlichen Beschäftigungsbedingungen organisiert werden. Sie gehöre wieder voll in staatliche Hände. Dabei komme es auch auf einheitliche Ausbildungsgänge und Anspruch auf Fortbildung für Luftsicherheitsassistenten an, so Radek.
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